Klare Komplexität
Innen und aussen fliessen bei diesem Haus, bei dem sich ein komplexes Volumen mit klaren Linien und schlichter Wohnlichkeit verbindet, ineinander.

Maximale Offenheit
Konkret entstand in der etwa einjährigen Planungsphase der Entwurf eines Parterre-Hauses, das der natürlichen Topografie des Grundstücks in Split-Level-Bauweise folgt. Von Beginn der Planung an festigte sich die Idee, Innenhöfe im Bauvolumen zu schaffen, die sowohl Räume voneinander abtrennen, als auch ein spannendes Wechselspiel zwischen innen und aussen schaffen. «Angesichts der komplexen Volumetrie war eine Ausführung in Sichtbeton naheliegend», sagt Olivier Cheseaux. Die Bauweise sowie die von der Bauherrschaft gewünschte rahmenlose Verglasung verlangten eine exakte Planung mit ausgefeilten Details.
Nach einer Bauzeit von eineinhalb Jahren war das Projekt komplett. Erschlossen wird das Haus über eine Zufahrt auf der Nordseite, die zum Untergeschoss führt, in dem sich auch eine Garage und der Technikraum befinden. Über eine Treppe steigt man ein halbes Geschoss hinauf ins Wohnzimmer, das die Offenheit des Hauses verkörpert: Es öffnet sich auf zwei Seiten über eine rahmenlose Verglasung zu einem der Innenhöfe und auf der dritten zu einem überdachten Sitzplatz an der Aussenseite des Hauses. Steigt man aus dem Wohnzimmer eine weitere halbgeschossige Treppe hoch, gelangt man in den erhöht gelegenen Essbereich samt Küche. Ein Panoramafenster in der westlichen Wand eröffnet hier einen einzigartigen Ausblick über Saillon und lässt zugleich Licht in den direkt darunterliegenden Eingangsbereich einfallen. Ein weiteres Fenster in der Nordwand bringt noch mehr Licht in den Raum, während sich die gegenüberliegende Wand über raumhohe Verglasung komplett zu einem der Innenhöfe öffnet. So trennt dieser grössere Innenhof, der auf einer Seite zudem zum Garten offen ist, den Eingangs- und Essbereich vom Wohnzimmer. Ein zweiter, länglicher Innenhof dient als Grenze zwischen Wohnzimmer und den Privaträumen der Familie. Verbunden werden die beiden Innenhöfe durch einen überdachten Bereich, der einen Sitzplatz beherbergt.
Im südlichen Teil des Hauses liegen die Schlafzimmer der drei jugendlichen Kinder der Familie, die sich ein Badezimmer teilen, sowie das Elternschlafzimmer mit einer Ankleide und einem eigenen Badezimmer en suite. Ein lichtdurchfluteter Gang mit Verglasung zum länglichen Innenhof verbindet die Räume und stellt die Privatsphäre sicher. Hier konnte die Familie zwei durch Schiebetüren getrennte Bürobereiche einrichten.
Ganzheitlich geplant
So komplex das Volumen auch ist, wird es dennoch von klaren Linien geprägt. So wirkt das Haus besonders ausdrucksstark, ohne den Betrachter zu ermüden. Von jeder Seite präsentiert es sich dank markanten Fensteröffnungen und Schrägen in einem anderen Licht.
Dieser anspruchsvollen Gestalt hielt das Team von anako architecture ein schlichtes Innenleben entgegen. Die mehrheitlich weissen Wände, Decken und Türen lassen die Natur in den Vordergrund treten. Ein Boden aus dunkelgrauem, poliertem Beton bildet eine schlichte Kulisse für die moderne Möblierung und vereint zugleich dank seiner durchgehenden Ausführung die Innen- und Aussenräume. Damit der Eindruck auch in den Abendstunden möglichst harmonisch bleibt, zog das Architekturbüro das renommierte Basler Unternehmen Regent Lighting für die Lichtplanung hinzu. Grossflächige, runde Deckeneinbauleuchten stiften am Abend warmes Licht in den Innenräumen und auf den überdachten Sitzplätzen, während eine gezielte Anstrahlung die Pflanzen in den Innenhöfen zu skulpturalen Objekten werden lässt. Der Bedarf an zusätzlichen Steh- oder Tischlampen reduziert sich, was wiederum die minimalistische Einrichtung unterstützt. Doch tagsüber brauchen die Hausbewohner künstliches Licht wohl kaum: Zusätzlich zu den verglasten Innenhöfen verfügt jedes einzelne Zimmer über mindestens ein Fenster zum Aussenbereich. So prägen raumhohe Öffnungen zum Garten auch die Schlafzimmer und Bürobereiche der Familie. Auch die Gartengestaltung auf dem 1212 m² grossen Grundstück wurde vom Architekturbüro gemacht. «Das Ziel war, dass durch das Zusammenspiel von Garten und Glas ein Gefühl entsteht, als gäbe es keine Grenzen zwischen innen und aussen», erklärt Olivier Cheseaux. «Wir haben ein ganzheitliches Konzept geschaffen, bei dem die Architektur im Einklang mit dem Aussenraum steht.»
Mit dem Ergebnis der sorgfältigen Planung sind sowohl die Hausbesitzer als auch der Architekt zufrieden. «Die Bauherrschaft war anspruchsvoll und während der ganzen Zusammenarbeit sehr involviert», sagt der Architekt. «Nur so konnte nicht einfach ein durchschnittliches Haus, sondern ein zusammenhängendes Ganzes entstehen.»
Olivier Cheseaux, Architekt
Architekten-Interview
Olivier Cheseaux, arbeiten Sie oft mit Sichtbeton?
Ja, ich mag dieses Material sehr. Es erlaubt gleich mehrere Verwendungen: Wand, Boden, Decke, sogar Mobiliar.
Welche Missverständnisse gibt es rund um das Thema Sichtbeton?
Wer mit Sichtbeton baut, sollte sich im Vorfeld bewusst sein, dass es ein natürliches Material ist, das von Menschen verarbeitet wird. Als solches wird es automatisch kleine Mängel haben. Der Bauherr sollte unbedingt verstehen, dass Arbeiten in Sichtbeton nicht dieselbe Präzision erreichen wie etwa eine Autolackierung.
Was ist Ihrer Ansicht nach die wichtigste Aufgabe der modernen Architektur?
Die Architektur sollte den Bauherrn respektieren, begleiten und ihm das architektonische Konzept näherbringen. Ansonsten läuft man Gefahr, den roten Faden zu verlieren und anstatt einer harmonischen Einheit eine Collage zu schaffen. Auch das Budget sollte berücksichtigt werden. Moderne Architektur ist nicht zwingend kostspielig, im Gegenteil: Wenn das Projekt die Lage und den Verlauf des Grundstücks respektiert, werden die Kosten für den Aushub und die Aussenraumgestaltung viel kleiner sein.
Welche Herausforderungen entstehen bei der Zusammenarbeit des Architekten mit der Bauherrschaft?
Der Architekt wird für eine Zeit Teil des Familienlebens und teilt sich mit der Bauherrschaft die Sorgen und die Freuden. Das ist ein schönes Erlebnis. Die Grundlage dafür ist das gegenseitige Vertrauen. Nur so gelingt das Bauvorhaben zur Zufriedenheit aller Beteiligten.
Was fehlt Ihnen in der Schweizer Wohnarchitektur?
Ich fände es angebracht, wenn vor der Einzonung der Baugebiete zuerst einmal eine kohärente Stadt- und Mobilitätsplanung durchgeführt werden würde.
Wenn Sie ein unlimitiertes Budget hätten, was würden Sie dann bauen?
Nichts – das Budget allein ist uninteressant. Es sollte integraler Teil des Konzepts sein. Für mich ist es der Ort, der die Architektur diktiert – nicht umgekehrt. Ohne den Ort zu kennen, kann ich mir kein Projekt vorstellen.
Technische Angaben
[ Architektur ]
Olivier Cheseaux
anako architecture sàrl
www.anakoarchitecture.ch
[ Konstruktion ]
Konstruktion: Massivbauweise (Beton) | Sichtbetonfassade | Flachdach begrünt
[ Raumangebot ]
Nettowohnfläche: 200 m² | Anzahl Zimmer: 6,5
[ Ausbau ]
Bodenbeläge: Beton poliert | Wandbeläge: Verputz | rahmenlose Verglasung
[ Technik ]
Luft-Wasser-Wärmepumpe | Fussbodenheizung









