Wohnglück im Wallis

In Reckingen, dem ältesten Bergdorf im Hochtal Goms, hat sich eine junge Familie den Traum vom eigenen Haus erfüllt. Einfach, gemütlich und aus Holz sollte es sein. Dabei hat das Architektenteam mit diesem Auftrag die altehrwürdige Holzblockbauweise neu interpretiert.

In einer Region, die sich gegen die Abwanderung behaupten muss, hat sich eine junge Familie ein neues Zuhause gebaut. Der Neubau reiht sich ­neben traditionellen Häusern ein und zeichnet eine erfrischend moderne Linie in das Dorfbild.

Langlaufen, Wandern oder Biken: Das Goms ist eine beliebte Feriendestination. Sie setzt sich aus zwei Munizipalgemeinden zusammen: Obergoms und Goms. Zu Letzterer gehören seit 2017 sieben Bergdörfer, in denen rund 1200 Menschen zu Hause sind, darunter die Familie Buri. Sie hat in Reckingen ein eigenes Haus gebaut. Schon von der Hauptstrasse aus erkennt man den Neubau unter der dicken Schneedecke. Denn die Fassade ist heller, und die Fenster sind grösser als jene der Nachbarn. Das Dorf ist an diesem sonnigen Wintertag sehr belebt. Wer mit dem Auto unterwegs ist, kommt nur im Schritttempo an den Langläuferinnen und -läufern ­vorbei, welche die Loipe aufsuchen oder wieder verlassen.

«Hier kann es passieren, dass man eingeschneit wird oder das Mobilfunknetz zusammenbricht. Dann rückt man als Gemeinde näher zusammen», sagt Bauherr Daniel Buri, als er durch das Haus führt. Er schätze die Ruhe Reckingens und des gesamten Tals: «Es ist eine heile Welt – ein schöner Ort, um die Kinder grosszuziehen.» Ihn und seine Frau zog es vor sechs Jahren aus beruflichen Gründen von der Stadt Brig ins Hochtal Goms.

Vom Eingang bis zum Wohnbereich schmiegt sich das Erdgeschoss Stufe für Stufe an das Terrain. | Tradition modern interpretiert: Wie in alten Walliser Häusern ist in diesem Neubau der Specksteinofen zentral positioniert, aber schlicht gestaltet. Auf Wunsch der Bauherrschaft gibt es eine gemütliche Sitz­gelegenheit.

 

Glückliche Gelegenheit und grosses Vertrauen
Zunächst lebte die junge Familie in einem mehrgeschossigen Miethaus in Münster. «Meine Frau Carole und ich  haben viel darüber gesprochen, dass es schön wäre, ein eigenes Haus zu haben», sagt Daniel Buri, «und wir waren uns einig, wenn wir bauen wollen, dass wir das tun möchten, solange die Kinder klein sind, damit sie darin aufwachsen können.» Ihren Wunsch kannte auch die beste Freundin der Bauherrin. «Ihre Eltern boten uns ihr Grundstück in Reckingen zum Kauf an», sagt Carole Buri.
Diese Gelegenheit liess sich das ­Ehepaar nicht entgehen, zumal sich die junge Familie in der Gemeinde – in der die Bauherrin aufgewachsen ist – wohlfühlt. «Goms ist sehr familienfreundlich, und unsere Kinder können viel Zeit mit den Grosseltern verbringen. Die Eltern von Carole wohnen nämlich nur einen Steinwurf von uns entfernt», ergänzt Daniel Buri.

Als es darum ging, einen Architekten für das Bauvorhaben zu finden, war für das Paar schnell klar, dass es mit Roman Hutter zusammenarbeiten wollte. Roman Hutter ist ein Freund des Bauherrn, der in der Region aufgewachsen ist und viele Häuser in Goms realisiert hat. Neben dem Architekten waren auch die Handwerksbetriebe schnell ausgewählt: «Wir wollten Fachleute aus der Region, damit im Reparaturfall die Wege kurz sind», sagt Daniel Buri. Manche Handwerker kannte er persönlich, andere waren Baupartner des Architekten, sodass von Beginn an ein gutes Vertrauensverhältnis bestand. Die Bauherrschaft wollte ein Holzhaus, das in die Umgebung passt. Das Familienleben sollte sich nur auf zwei Stockwerken abspielen. Das Heizen mit Holz war ein grosses Anliegen. Das Paar wünschte sich weiter einen Gussboden, ansonsten war der Architekt frei in der Gestaltung und wie viel Holz er einsetzen wollte. Schliesslich sollte die Garage nicht im Haus integriert sein.

Die Holzstämme rahmen die Küche förmlich ein, bilden aber ebenso die tragenden Säulen des Neubaus. Hinter der hellen Wand links der Küche ist ein praktisches Reduit versteckt.

 

Traditionelle Bauweise auf den Kopf gestellt
Auf das 777 Quadratmeter grosse Grundstück hat der Architekt einen rechteckigen Grundriss an den östlichen Rand der Parzelle gesetzt. Auf diese Weise verfügt die Familie in den Sommermonaten über eine grosse Gartenfläche im Westen. Das Haus mit Satteldach hat eine schlichte Silhouette und ist mit grossen und kleinen Fensterflächen gespickt. Dadurch entsteht ein Spiel von Aus-, Durch- und Einsichten. Die Fassade ist aus sägeroher Lärche, und anders als die Nachbargebäude sind die Bretter vertikal und überlappend angebracht.

«Weil sich die Parzelle ausserhalb des Ortskerns befindet, wollten wir die traditionelle Blockbauweise neu interpretieren. So haben wir die Holzbalken vertikal statt horizontal gefügt», erklärt der Architekt Roman Hutter. Mit diesem Kniff haben er und sein Team die Blockbauweise auf den Kopf gestellt. Nebst der Ästhetik kommen technische Vorteile hinzu: «Bei der traditionellen Blockbauweise liegen die Holzbalken horizontal aufeinander. Durch das Gewicht setzt sich jedes Geschoss um ein paar Zentimeter. Das muss bei der Konstruktion eingerechnet werden. Bei unserer Blockbauweise mit vertikaler Anordnung passiert das nicht», erklärt der Architekt. Die Holzbalken sind 10 Zentimeter dick und dank Nut und Kamm zusammengefügt. Nach der Holzfaserdämmung folgt das Lärchenkleid. Wie bei einem plissierten Stoff überlappt ein Holzbrett das nächste, aber auf jedem Stockwerk abwechselnd in die entgegengesetzte Richtung sowie von Geschoss zu Geschoss. Das hat den Vorteil, dass das Wasser bei Regen oder Schnee an der Fassade abperlt. Ein weiteres technisches Plus: «Weil die Wände aus vertikalen Bauteilen besteht, konnten diese bei den Öffnungen einfach ausgespart werden», erklärt Roman ­Hutter. Die grossen Fenster hat er windmühlenartig jeweils an den Ecken angeordnet. So gibt es in jedem Geschoss und in jeder Himmelsrichtung ein raumhohes Fenster. Abgesehen von der Schiebetür im Erdgeschoss sind sie fest verglast. Zum Lüften hat der Architekt die kleinen quadratischen Fenster eingeplant.

Das Sitzfenster lädt zum Entspannen ein und öffnet den Blick zum Dorf und zu den Bergen.

 

Örtliche Gegebenheitenästhetisch inszeniert
Das Haus liegt an leichter Hanglage und ist nicht unterkellert. So entstand die Idee, das Erdgeschoss an das Terrain zu schmiegen. Das Erdgeschoss ist in drei Zonen gegliedert. Die erste Zone bilden die Garderobe und der Multifunktionsraum, der zum Basteln und Wäschewaschen genutzt wird. Ohne Türen geht es in die zweite Zone: die Küche, die mit dem Specksteinofen das Herzstück bildet. Die dritte Zone befindet sich um eine Stufe eine Ebene tiefer. Dort sind der Esstisch mit Zugang zum Garten sowie der TV-Bereich mit Sitzfenster.

Die sechs tragenden Säulen hat der Architekt gekonnt als ästhetisches Gestaltungs-element genutzt. Denn sie manifestieren die drei Zonen, ohne sie durch Wände voneinander zu trennen. Mit dem rötlichen Lärchenholz bringt der Architekt ein weiteres ästhetisches Merkmal ins Spiel, das auf die räumlichen Unterteilungen mal markanter – in Form von Türen und Treppen – und mal dezenter – in Form von Rahmungen – hinweist und sich wie ein roter Faden durch die Innenarchitektur zieht. «Das Holz ist unbehandelt und wird mit der Zeit leicht nachdunkeln. Es ist nur gehobelt und nicht geschliffen. Denn so behält das Holz seinen natürlichen Seidenglanz», erklärt der Architekt.

Jedes Zimmer, so auch das Yogazimmer, profitiert von einem grossen Fenster mit Ausblick in die Natur. 7 | Ausserdem hat jedes Zimmer eine Dachschräge. Das kleine Fenster lässt sich öffnen und ist zum Lüften gedacht.

 

Von nutzungsneutralen Zimmern über ein schlichtes Lichtkonzept …
Im Obergeschoss sind die Schlafzimmer und das Familienbad von einem breiten Korridor erschlossen. Der Boden ist hier durchgehend aus massivem Fichtenholz, auch im Bad. Dort sind im Gegenzug die Wände aus dem gleichen mineralischen Spachtelbelag wie der Boden im Erdgeschoss. Alle vier Zimmer sind gleich gross mit überhoher Decke und Dachschräge. «Wir probieren immer, die Zimmer nutzungsneutral zu machen. Das heisst, wir achten darauf, dass alle Zimmer identisch sind, sodass jeder Raum beliebig genutzt werden kann, ob als Eltern- oder Kinderzimmer, Büro oder Atelier», erklärt Roman Hutter. Im Korridor ist die Decke niedriger, da es darüber einen Estrich gibt.

Das Haus ist einfach und klar gebaut, so hat es sich die Bauherrschaft gewünscht. Überdies entspricht diese Anforderung der Philosophie des Architekturbüros. Das wird durch das Lichtkonzept nochmals verdeutlicht. Die Porzellanfassungen sind eingebohrt, sodass sie nur ganz fein in Erscheinung treten. Passend dazu gibt es klassische Lichtschalter in Weiss. «Das Direkte, Einfache finden wir schön. Wir empfinden es als angenehm, wenn man sieht und versteht, woher das Licht kommt. Deshalb arbeiten wir nicht mit indirektem Licht», sagt Roman Hutter.

Jedes Zimmer hat eine Dachschräge. Das kleine Fenster lässt sich öffnen und ist zum Lüften gedacht. | Im Obergeschoss zieht sich der Holzboden bis ins Bad. Die Wände bei der Badewanne, beim Waschbecken und in der Dusche sind aus fugenlosem Spachtelbelag.

 

… bis zum einfachen Heizsystem
Schlicht und einfach ist zudem das Heizsystem. «Wir wollten einen Ofen mit Sitzbank, damit wir uns nach dem Skifahren oder dem Langlaufen dort aufwärmen können», erzählt der Bauherr. Eingefeuert wird nur zwei Mal am Tag mit 10 bis 12 Kilogramm Holz, wobei die Brennmasse auf einmal in den Ofen gelegt werden muss. Zwischendurch nachfeuern darf man nicht, da der Ofen sonst überhitzt. Ein Touchdisplay macht die Fernsteuerung möglich. So können Ofentür und Ofenklappe per Fingertipp bedient werden. Weiter kann der Monteur allfällige Probleme aus der Ferne beheben.

Der Specksteinofen erstreckt sich über beide Etagen. Rechts davon befindet sich das Tages-WC. Dessen Tür und die Treppe zum Obergeschoss sind aus Lärchenholz und kreieren mit rötlichem Schimmer einen Kontrast zu den Wänden und zur Decke aus Fichtenholz

Die Wärme wird über die warmwassergeführte Fussbodenheizung verteilt. Dazu sind Kupferleitungen in der Cheminéewand inte­griert, von wo aus das aufgewärmte Wasser zirkuliert. An kalten Tagen mit Minustemperaturen wird morgens und abends geheizt. Wobei die Sonne das Haus tagsüber warm hält. Im Sommer heizt die Familie grundsätzlich nicht. Bei Bedarf kann die Solaranlage auf dem Garagendach zum Heizen eingesetzt werden. Von Solarstrom profitiert die Familie vor allem im Sommer, wobei überschüssige Energie in das Stromnetz eingespeist wird.

Das Haus wurde innerhalb von neun Monaten errichtet. Im März 2021 zog die Familie ein. «Wir sind sehr zufrieden mit dem Gesamt­ergebnis», sagt die Bauherrin und fügt an, «wir fühlen uns wohl, und mir kommt es so vor, als hätten wir schon immer hier gewohnt.»

Inmitten von zum Teil über 500-jährigen Häusern mit fast schwarz gebrannten Fassaden fällt der Neubau mit dem noch hellen Holzkleid und grossen Fenstern ins Auge.

 

TECHNISCHE ANGABEN

[ ARCHITEKTUR ]
Roman Hutter Architektur GmbH, romanhutter.ch

[ KONSTRUKTION ]
Holzblockbau, Fichtenholz unbehandelt
Fassade: sägerohe Lärche
Satteldach

[ Raumangebot ]
Wohnfläche: 162 m²
Anzahl Zimmer: 6,5

[ Ausbau ]
Wände: Fichtenholz unbehandelt, mineralischer Spachtelbelag
Bodenbeläge: mineralischer Spachtelbelag, Fichtenholz unbehandelt
Decken: Fichtenholz unbehandelt
Fenster, Treppen, Türen: Lärchenholz unbehandelt

[ Technik ]
Specksteinofen
Fussboden­heizung
Photovoltaikanlage

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