Was der Homeoffice-Stuhl können muss

Stuhl ist nicht gleich Stuhl. Verspannungen können unerwünschte Folgen von falschem Sitzen sein. Experte Marijo Butkovic erklärt im Interview, wieso auch im Homeoffice ein besonderes Augenmerk auf den Arbeitsstuhl gelegt werden sollte und welche Lösungen die Branche bietet, damit dieser ebenfalls den ästhetischen Ansprüchen zu Hause genügt.

Der Stuhl «Hag Capisco» ist ein sogenannter Sattelstuhl und fördert durch seine Form eine aufrechte und dynamische Sitzposition.
Der Stuhl «Hag Capisco» ist ein sogenannter Sattelstuhl und fördert durch seine Form eine aufrechte und dynamische Sitzposition.

Marijo Butkovic, die Pandemie hat viele gezwungen, zu Hause einen Arbeitsplatz einzurichten. Dabei muss meistens der Ess­tischherhalten. Die Esszimmerstühle sind auf Dauer nicht bequem. Weshalb?

Esszimmerstühle sind statisch. Sie bestehen meistens aus einer harten und unbeweglichen Holz-oder Plastikschale. Sitzt man lang darauf, sucht man selbst nach Bewegung und sitzt mal quer oder in einer gekrümmten Haltung. Eine falsche Sitzhaltung kann zu Verspannungen im Rücken und im oberen Schulterbereich führen. Daraus können Kopf-und Gelenkschmerzen resultieren. Gesundes Sitzen ist aktives Sitzen. Das bietet ein herkömmlicher Stuhl nicht.

Wie kann man ihn provisorisch umfunk­tionieren, damit er bequemer wird?

Viele helfen sich mit einem dünnen Sitzkissen, das die Sitzfläche weicher macht. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass das nicht viel bringt. Der Esszimmerstuhl bleibt hart und unbeweglich.

Was zeichnet also grundsätzlich einen guten Arbeitsstuhl aus?

Ein guter Arbeitsstuhl lässt sich den individuellen Bedürfnissen anpassen und auf die eigenen Körpermasse einstellen. Mit einem Lift kann man die Sitzhöhe anpassen. Um die aufrechte Haltung zu fördern, gibt es in der Rückenlehne eine sogenannte Lordosenstütze, ein Element für die Stabilisierung des Lendenwirbels. Dieses muss flexibel sein, sodass es je nach Körpergrösse eingestellt werden kann. Ein guter Arbeitsstuhl hat zudem Armlehnen, um die Arme und damit auch den Nacken zu entlasten. Die Armlehnen sollten in der Höhe verstellbar sein, sodass die Lehnen nahtlos zum Tisch übergehen. Weiter sollte die Sitztiefe anpassbar sein. Das bedeutet: Bei langen Beinen schiebt man die Sitzfläche nach vorn, sodass zwischen Kniekehle und Vorderkante des Sitzes zwei Finger Platz haben. Mit all diesen Einstellungen merkt man, dass der Stuhl ein Negativ des eigenen Körpers darstellt. Der nächste Schritt ist die Bewegung.

Was meinen Sie damit?

Der Stuhl muss Bewegung zulassen und fördern. Dazu gibt es die Wippmechanik, durch die der Körper immer leicht in Bewegung bleibt. Das regt den Kreislauf an. Ganz wichtig ist deshalb auch, dass der Arbeitsstuhl ein Gestell mit Rollen hat, das die Bewegung nach allen Seiten unterstützt.

Welche Arten von Arbeitsstühlen gibt es?

Grundsätzlich unterscheidet man zwischen einfachen Bürostühlen, die in der Höhe verstellbar sind, und solchen, die als Sitz-StehKombination verwendet werden, wie zum Beispiel der Stuhl Hag Capisco. Solche Modelle lassen sich in der Höhe flexibel einstellen, sodass man zwischendurch halb hoch in Kombination mit einem höhenverstellbaren Pult sitzen kann. Die halb angewinkelte Sitzposition bringt den Brustkorb weiter nach vorn. Das entlastet die Organe, die Atmung wird erleichtert. Durch die bessere Atmung wird die Konzentration gefördert. Weitere Arten sind Hocker oder ergonomische Sitzbälle, die aber nur als Entlastung für kurze Zeit zu empfehlen sind.

Ist der Stuhl einmal ergonomisch optimal eingestellt, soll man die Einstellung bei­behalten oder ab und an variieren?

Einmal richtig eingestellt, passt der Stuhl. Es ist ratsam, die Einstellung nach ein oder zwei Jahren von einem Experten überprüfen zu lassen, da es mit der Zeit körperliche Veränderungen geben kann, die ein Nachjustieren verlangen. Der grösste Fehler ist die Arretierung, also das Blockieren der Einstellungen durch einen Hebel, der die Beweglichkeit des Stuhls verhindert. So macht man aus dem Bürostuhl wieder eine statische Sitzgelegenheit.

Wenn die Arretierung so schlecht ist, warum haben alle Bürostühle eine solche?

Gute Frage. Das hängt wohl mit dem tief verankerten Denken zusammen, dass ein konzentriertes Arbeiten ein dauerhaftes Sitzen auf einer fixen Position bedeutet. Und manchmal hat man vielleicht einfach das Bedürfnis, die Beweglichkeit des Stuhls zu stoppen. Die Arretierung lässt diese Option offen. Wir empfehlen sie jedoch nicht.

Was hat es mit den unterschiedlichen Formen der Rückenlehnen auf sich?

Der wichtigste Unterschied ist, ob der Stuhl einen Netzrücken oder einen voll gepolsterten Rücken hat. Während Letzterer für maximalen Komfort steht, hat der Netzrücken den grossen Vorteil, dass er luftdurchlässig ist, was insbesondere im Sommer angenehm ist – wie bei den modernen Rucksäcken, die ein Netzteil haben, weil man beim Wandern stärker schwitzt. Ansonsten ist auf die Höhe der Rückenlehne zu achten. Grosse Menschen brauchen eine höhere Rückenstütze. Die Nackenstütze allerdings ist eher dazu gedacht, dass man beispielsweise beim Telefonieren oder sonst einen Moment lang entspannt zurücklehnen und den Kopf entlasten kann. Das sind die wichtigsten funktionalen Aspekte, der Rest ist Design.

Worauf ist bei der Materialwahl zu achten?

Gute Qualität spürt man meist schon beim ersten Handgriff und sieht man bei der Verarbeitung – wie bei der Kleidung. Labels helfen, hochwertige Qualität zu erkennen. Griffige Stoffe fördern den Sitzkomfort. Glatte Materialien wie Leder sind eher ungeeignet, da sie rutschig sind. Auch reine Kunststoffsitze sind suboptimal, weshalb sie mit einem feinen Textil bezogen sind. Wir arbeiten viel mit Wolle. Es gibt inzwischen auch sehr gute synthetische Materialien aus Polyester, die recycelbar sind. Kürzlich haben wir einen Stuhl auf den Markt gebracht, dessen Sitzschale aus alten Schneepflugmarkierungen gefertigt ist. Damit haben wir einen Recyclinganteil von 65 Prozent erreicht.

Ist ein Recyclinganteil von 65 Prozent das Maximum?

Ja, im Moment schon. Es gibt einige Komponenten aus Stahl, wie zum Beispiel Schrauben, die nur schwer aus einem anderen Material hergestellt werden können. Man ist dabei, diesen Werkstoff schrittweise durch recyceltes Aluminium oder härteren Kunststoff zu ersetzten. Auch wir versuchen auf diese Weise, einen Recyclinganteil von 70 Prozent zu erreichen. Das ist aber nur ein Teil des Nachhaltigkeitsaspekts, auf den man achten sollte. Achten Sie darauf, dass der Stuhl langlebig ist: Lässt er sich komplett reinigen und reparieren? Und lässt er sich am Ende nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip in seine Bestandteile auseinanderbauen, um die einzelnen Komponenten wieder in den Kreislauf zurückzuführen?

Worauf sollte man das nächste Mal beim Kauf eines Stuhls achten, wenn er aus Platzgründen sowohl zum Essen als auch zum Arbeiten taugen soll?

Es gibt noch keine Hybridlösung, die sowohl am Esstisch eine gute Figur macht als auch für langes Sitzen funktional ist. Kaum jemand möchte sechs Stühle mit Rollen am Esstisch haben. Aber die Branche hat erkannt, dass das Arbeiten zu Hause immer mehr thematisiert wird und nicht jeder einen abgeschlossenen Raum als Büro zur Verfügung hat. Das Thema Homeoffice wird uns in Zukunft weiterhin begleiten.

Was strebt die Branche also an, um diese Lücke zu schliessen?

Namhafte Hersteller aus dem Bürostuhlsegment wie auch wir ergänzen das Sortiment mit Modellen, die sich mehr in die wohnliche Umgebung einfügen. Während im Büro aufgrund des Bedürfnisses nach Uniformität meist schwarze Stühle zum Einsatz kommen, ist zu Hause Individualität gefragt. Deshalb hat sich das Angebot an Farben und Stoffen stark erweitert. Man versucht ebenfalls, die Technik zu reduzieren, damit der Arbeitsstuhl nicht als solcher sofort auffällt. Das gab es vor fünf Jahren fast gar nicht, wurde im letzten Jahr aber massiv angestossen.

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