Bescheiden bauen

Ein glücklicher Zufall bescherte einer Familie das Grundstück für ihr lang ersehntes Eigenheim. Da ein Umbau nicht möglich war, entstand ein schlichter Ersatzneubau in Holz und Beton mit urbanem Flair.

Ein schlichter Garten und eine ebenso schlichte Architektur schaffen ein ungezwungenes Wohngefühl – hier fühlt sich die junge Familie wohl.

Text Donika Gjeloshi | Fotos Holger Jacob

Ein Einfamilienhaus zu bauen, ist heutzutage ein  Luxus», sagt die Bauherrin, deshalb würde sie jeder Bauherrschaft ans Herz legen, bescheiden zu bauen. Eigentlich hatten sie und ihr Mann nie den Bau eines Eigenheims im Sinn. Sie wollten ein bestehendes Haus kaufen und bei Bedarf umbauen. Lang haben sie in ihrem Wohnort Aarau und Umgebung nach etwas Passendem gesucht. Sie blieben jedoch erfolglos, weil alle Angebote über ihrem Budget lagen. Eine zufällige Begegnung sollte sie jedoch der Verwirklichung ihres Wunsches näher bringen und die Familie zum Heimatort der Bauherrin in die Gemeinde Vordemwald führen: «Die frü­here Bewohnerin hat zufällig meinen Vater auf einer Zugfahrt getroffen. Sie kannte ihn noch vom Naturschutzverein. So fragte sie ihn beiläufig, ob er nicht eine Familie kenne, die ihr Haus übernehmen möchte.»

Gemeinsam mit Experten eines Holzbauunternehmens durfte das interessierte Paar das Haus aus den Siebzigerjahren mit leichter Hanglage besichtigen. Die Begutachtung zeigte, dass die Bausubstanz nicht erhaltenswert war. Eine Renovation erübrigte sich damit, der Keller konnte aber erhalten bleiben. Also musste das Paar einen Ersatzneubau in Erwägung ziehen. Dafür hat der Holzbauer einen Architekten empfohlen. «Sein Entwurf hat uns leider nicht überzeugt», erinnert sich die Bauherrin. Sie und ihr Mann wandten sich deshalb an den befreundeten Architekten Philipp Schenker vom Architekturbüro Gautschi Lenzin Schenker in Aarau.

Schlichtes, aber spannungsreiches Raumkonzept
«Gefragt war ein einfaches Raumprogramm mit zwei Kinderzimmern, einem Elternzimmer, zwei Nasszellen und einem grossen Wohn- und Essraum mit offener Küche. Das sehr enge Kostenbudget hatte ebenso Einfluss auf den Entwurf», sagt Philipp Schenker. Vorgegeben war zudem ein Holzbau. «Das Material schafft ein sehr angenehmes Raumklima und ist nachhaltig», begründet die Bauherrin die Wahl. Ausserdem gefielen dem Paar die Zumthor-Ferienhäuser in Leis GR sehr gut, das gab es dem Architekten als Input mit. Anhand dieser Anforderungen zeichnete der Architekt einen ersten Entwurf. Er nutzte den Umriss des Kellers als gegebene Grundrissfläche für das neue Haus und verteilte darauf die gewünschten Räume. Er sorgte dafür, dass der Elternbereich von den Kinderzimmern klar getrennt ist, um die Privatsphäre zu gewährleisten.

Beim Eingangsbereich hat der Architekt mit der Über­dachung des Velo-unter­stands Bezug auf den Versatz der Südfas­sade genommen.

Das erreichte er mit dem Korridor, der schliesslich den Eingangsbereich mit der gemeinschaftlich genutzten Wohnfläche verbindet. Diesen grossen Gemeinschaftsraum hatte er zuerst so entworfen, dass die Küche im Zentrum stand und seitlich davon die Fenster den Ess- und Wohnbereich ­erhellten. Nach Rücksprache mit der Bauherrschaft überarbeitete er diesen Teil des Entwurfs, sodass nun eine grosse Fensteröffnung den Blick auf den Garten und das Tal freigibt. Und das bereits, wenn man das Haus betritt. Des Weiteren gelang es ihm, mit unterschiedlichen Deckenhöhen den grossen offenen Gemeinschaftsbereich zu zonieren: Während die Küche als Nische konzipiert ist, ist der Essbereich mit seinem Esstisch zentraler Begegnungsort mit grosser Schiebefenstertür zum Garten. Das Wohnzimmer setzt mit dem Panoramafenster die natürliche Umgebung in Szene. Diese Entwurfsvariante überzeugte schliesslich das Paar.

Besondere Herausforderungen führen zu klarer Formensprache
Die notwendige Asbestsanierung vor dem Rückbau, die Verstärkung der Kellerdecke und die Hangsicherung überschritten zwar das vorgesehene Budget, doch ein sauberes Fundament war für die Bauherrschaft zentral, weshalb sie das Projekt trotzdem realisieren wollte. Schliesslich hatte sie Reserven einkalkuliert, sodass die Rechnung für dieses Bauprojekt trotzdem gut aufging.

Auf der verstärkten Betondecke wurde die vorfabrizierte Holzkonstruktion gestellt. Diese scheint über dem Erdreich zu schweben. «Schon das alte Haus befand sich 35 Zentimeter über dem Erdreich. Durch die Boden­verstärkung haben wir nochmals Höhe gewonnen», erklärt der Architekt. Mit dieser Anhebung des Hauses wird klar zwischen Alt und Neu getrennt. Sie kreiert aber auch ein spannungsreiches Wohnambiente, denn das Erdgeschoss steht höher als das Gartenniveau und ist über eine Treppe erreichbar, die als gemütliche Sitzgelegenheit genutzt werden kann. Durch den Versatz und die zum Tal orientierte Fassade entstand die Idee, das Haus in zwei Boxen zu gliedern. Strassenseitig hat der Architekt die Westfassade verlängert und dort einen Unterstand für die Velos geschaffen. Damit findet der talseitige Versatz eine ausbalancierende Wiederholung auf der Nordseite.

Auf das Überflüssige verzichten und vorausschauend planen
So einfach die Form, so schlicht sind die Materialien: Holz, Beton, Glas und Chromstahl bilden das Ensemble. Um das Budget nicht zu strapazieren, hat die Bauherrschaft auf alles Überflüssige verzichtet. Deshalb sind die natürlichen Oberflächen unbehandelt: Das Tannenholz ist sägeroh und ohne UV-Beschichtung. So sieht man, dass die Fassade durch die Sonneneinstrahlung bereits vergraut ist. Beim Boden handelt es sich um einen preiswerten Gussboden. Auf die Fugen wurde bewusst verzichtet, um den rohen Charakter besser zum Ausdruck zu bringen. Das Lichtkonzept ist schlicht, es besteht aus grossen Fenstern und wenig künstlichem Licht, das von aufgesetzten Balkenleuchten kommt, die keine komplexe Elektroplanung erforderten. Einzig die Chromstahlküche war hinsichtlich des Innenausbaus etwas kostspieliger. Die Bauherrschaft wollte auf dieses Design­element aber nicht verzichten. «Der Architekt nennt das Haus ‹Atelierhaus›, weil es so roh belassen ist und dadurch ein urbanes Flair verkörpert», erzählt die Bauherrin, «uns gefällt es sehr gut, auch wenn die offenen Fugen manchmal etwas unpraktisch sind.»

An zukünftige Anpassungen wurde insofern gedacht, als dass Leerrohre für die Photovoltaikanlage verlegt sind und die Wand des Wohnzimmers für den Einsatz eines Ofens vorbereitet ist. «Bei knappem Budget liegt die Kunst darin, die Essenz heraus­zuschälen und zu priorisieren», sagt Philipp Schenker. Und das ist ihm und seinem Team bei diesem Projekt gelungen. Das Architektenteam hätte jedoch nicht so radikal reduziert gestalten können, wenn die Bauherrschaft nicht den Mut dazu gehabt und dem Architekten kein Vertrauen entgegengebracht hätte. «Der Architekt hat unsere Wünsche verstanden und gut umgesetzt. Er hat uns immer einbezogen, gleichzeitig mussten wir nicht jedes Detail kennen», sagt der Bauherr, der überzeugt ist, dass nicht für jeden Schritt eine Offerte eingeholt werden müsse, da nicht die günstigste Variante, sondern die Qualität und die gute Zusammenarbeit mit den Handwerkern zähle. Letztere sei der Werkgruppe von Schär Holzbau zu verdanken. «Es ist eine stimmige Lösung, und es gibt nichts, was wir verändern würden», fasst er zusammen. Die Familie lebt schon seit zwei Jahren in ihrem neuen Zuhause und hat sich schnell eingelebt. «Jedes Mal, wenn wir von den Ferien nach Hause kommen, fühlt es sich besonders gut an, den Duft des Holzes zu riechen», sagt die Bauherrin.

 

TECHNISCHE ANGABEN

[ ARCHITEKTUR ]
Gautschi Lenzin Schenker Architekten AG, glsarch.ch

[ KONSTRUKTION ]
Holzfertigbauweise | Flachdach | Fassade: Tanne sägeroh

[ Raumangebot ]
Bruttogeschossfläche: 136 m² | Anzahl Zimmer: 4,5

[ Ausbau ]
Wände: Fichte/Tanne | Boden: Hartbeton | Decken: Fichte/Tanne | Fenster: Tanne mit schlanken Profilen

[ Technik ]
Luft-Wärmepumpe | Bodenheizung | Photovoltaik vorbereitet

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