Architektur für zwei Generationen

Auf einem Grundstück in einer ländlichen Region von Luzern hatte eine Bauherrschaftsfamilie im Jahr 2004 ein Einfamilienhaus mit geringer Ausnutzung erstellt. Im Jahr 2018 beabsichtigte sie, die grosszügige Parzelle mit der noch zur Verfügung stehenden Ausnutzung mit einem altersgerechten Neubau mit zwei Wohneinheiten zu komplettieren.

Ganz in Weiss setzen das Kochfeld und die runde Fensteröffnung einen spielerischen Kontrast.

Text Noémie Schwaller | Fotos Philipp Mächler

Das ebene Terrain liegt in einem reinen Wohnquartier in Emmen, hier gehen Stadt und Land ineinander über. Dank guter Infrastruktur ist man schnell mit dem öffentlichen Verkehr in der Stadt. Dieses Nachverdichtungsgenerationenprojekt auf dem 918 m² grossen Grundstück umfasst nun, nachdem der Sohn mit drei Kindern das bestehende Einfamilienhaus übernommen hat, einen Neubau als Alterssitz für die Eltern sowie eine zusätzliche Wohnung für die Tochter. Die Umgebungsgestaltung des Grundstücks wurde aus dem Bestand weitergeführt und entwickelt. Der Neubau nimmt aufgrund seiner städtebaulichen Setzung die Fluchten der umgebenden Bauten auf und respektiert die Freiräume sowie die Körnung der Siedlung. Das Zweifamilienhaus wird von der Privatstrasse her erschlossen und steht präzis als Verlängerung der bestehenden Garagen an der Strassenkante, sodass ein klar definierter Strassenraum gebildet wird. Auf diese Weise fügt es sich ganz selbstverständlich in die Umgebung ein und schliesst die vorhandene Baulücke auf der Parzelle auf unaufgeregte Art und Weise.

Das Erdgeschoss beherbergt den Eingangsbereich und die Garage hinter dem runden Fenster. Der Balkon der Wohnung im Obergeschoss bildet einen überdachten Einstellplatz.

Der Neubau vermittelt zwischen den teilweise fünfgeschossigen Bauten im Westen und den zweigeschossigen Bauten im Osten, wobei das ortstypische Satteldach die Dachlandschaft des Quartiers nahtlos weiterführt. Im seitlichen Bereich des Gebäudes, parallel zur Strasse, schliesst eine lockere Bepflanzung mit einheimischen Büschen an die bestehende Hecke und dient als Gartenabschluss. Bäume ordnen sich den geschwungenen Balkonlinien an und schaffen gleichermassen einen leichten Grünfilter. «Der Garten war für den Neubau sekundär, er sollte vielmehr zum bestehenden Einfamilienhaus zählen», erläutert Dani Ciccardini, Partner des Architekturbüros, das für den Neubau verantwortlich war, das Atelier Brandau-Ciccardini. Zu ihm fand die Bauherrschaft über die Tochter: «Wir haben zusammen in einem namhaften Architekturbüro gearbeitet», erklärt Dirk Brandau, ebenfalls Partner des Architekturbüros: «Wir sind seit über zehn Jahren befreundet. Sie hat schliesslich beruflich einen anderen Weg eingeschlagen, kam aber auf uns zu, als ihre Familie ein zweites Haus bauen wollte. Die Zusammenarbeit empfanden wir als sehr positiv, da wir uns schon kannten. Es ist unser erstes Neubauprojekt, das wir erarbeiten durften.»

Die Innenarchitektur lässt dank wenig eingesetzten Materia­lien viel Raum für die Bewohnenden.

Eine Architektur, die sich untypisch vom Erdgeschoss ­abhebt
Der Baukörper besteht aus zwei Wohnetagen, die auf einer Betonplatte über dem Sockel­geschoss ruhen. Mit der auskragenden Betonplatte wird dabei die von den Architekten beabsichtigte schwebende Anmutung unter­strichen. Dass es Geschosswohnungen sein sollen, war der Bauherrschaft ein Anliegen, ausserdem viel Platz für Autos, Motor- und Fahrräder. «Nach einer Machbarkeits­studie fiel rasch der Entschied, nicht im Erdgeschoss zu wohnen, und wir hatten die Idee, ein nahezu frei schwebendes Geschoss mit viel Luft zu bauen.

«Wir wollten das Wohnen mit Ausblick nach oben bringen und haben das Haus auf einen Betonsockel gesetzt.»

Die Architektur kommt insgesamt entspannt daher. Das Erdgeschoss punktet mit Grosszügigkeit, da es praktisch über keine Nutzung verfügt», so Dani ­Ciccardini. Ausser dem Eingang, der Garage und dem gemeinsamen gedeckten Gartensitzplatz gibt es dort eine minimale Infrastruktur mit Küche und Toilette. Auf einem Plateau aus Sichtbeton, das sich über den Kern ins Innere entwickelt, ruhen die Wohngeschosse. «Das Quartier ist sehr autolastig, das war mit ein Grund, das Haus auf einen Betonsockel zu setzen», erklärt Dirk Brandau und fährt fort, «dennoch ist der Baukörper hinsichtlich seiner Typologie hervorragend im Quartier inte­griert.»

Die zwei Wohnungen werden über ein Treppenhaus mit Lift erschlossen. Die erste Wohnung im Obergeschoss hat zwei gross­zügige Balkone, welche die nötige Privatsphäre über dem Strassen­niveau gewährleisten. In der Dach­geschosswoh­nung fliesst der Wohnraum um eine zentral ausgebildete Loggia, die den privaten Aussenraum kreiert. Durch den unüblich angeordneten Aussenraum entsteht ein besonderes Raumgefühl. Aufgrund der Ost-West-Ausrichtung sind beide Wohnungen als offenes «Durchwohnen» konzipiert, was zu einem Grundriss mit viel Licht und mit Sichtbezügen führt. Runde Öffnungen brechen spielerisch die klare Struktur.

Im Dachgeschoss ist durchgehend Parkett verlegt, auch im Badezimmer

Konstruktion und Materialisierung
Die Siedlung ist geprägt von unterschiedlichen Fassadenmaterialien wie Putz, Klinker, Naturstein und Holz in diversen Farben und Oberflächen. «Es war eine schwierige Aufgabe, alle Materialisierungswünsche der verschiedenen involvierten Generationen zu erfüllen, und zwar sowohl innen als auch aussen», ­beschreibt Dani Ciccardini diesen Prozess. «Innen ist das gut zu sehen, denn die untere Wohnung ist mit ihrem hellen Hartbeton­boden, ausgeführt mit Weisszement, durch den der Boden fast weiss wirkt, einen Hauch moderner.» In der oberen Wohnung hingegen dominiert Parkett aus gedämpfter Eiche in ­einem dunklen Ton. Die Materialien wurden bewusst reduziert eingesetzt und lassen den Bewohnenden Raum. Bei den formgebenden Aspekten herrschten teilweise ebenfalls andere Ansprüche, sodass die Materialisierung in die Konstruktion übergeht.

Das Satteldach hat auf dieser Etage eine zonierende Funktion. Auf dieser Hälfte des Grundrisses liegen die Küche, der Wohn­bereich und dazwischen die Loggia.

Das Farbspektrum bei den Oberflächen reicht von hell bis dunkel mit mehrheitlich warmen Nuancen. Das neue Haus ist massiv gebaut und verfügt über eine wärmegedämmte Aussenputzfassade: Ein hochwertiger mineralischer Kratzputz wurde in einem warmen Grauton aufgebracht. Die sichtbaren Stützen und das raumbildende Vordach im Erdgeschoss sind in Sichtbeton ausgeführt. Dagegen sind die Garagentorfront und die Aussenseiten der Holz-Metall-Fenster mit farblos eloxierten Aluminiumblechen verkleidet. Das auskragende Satteldach faltet sich leicht über das Wohnhaus und öffnet sich über der Loggia. Als Dacheindeckung wurden grossformatige dunkle Biberschwanzziegel verwendet. Geheizt wird mit einer Erdsonden-Wärmepumpe, wobei die Wärme über eine Fussbodenheizung verteilt wird. Das Dachwasser wird in einem unterirdischen Regenwassertank zurückgehalten und kann so für den Eigenbedarf genutzt werden. Die Photovoltaikanlage auf dem Loggiadach, mit der später das E-Auto mit elektrischer Energie versorgt werden könnte, ergänzt die Wärmepumpe ideal, ausserdem können weitere Komponenten wie eine Gebäudeautomation in ­einem nächsten Schritt folgen.

TECHNISCHE ANGABEN

[ ARCHITEKTUR ]
Atelier Brandau Ciccardini Architekten FH SIA GmbH, brandauciccardini.ch

[ KONSTRUKTION ]
Massivbauweise in Beton und Mauerwerk | Satteldach mit Loggia | wärme­gedämmte Kratzputzfassade

[ Raumangebot ]
Bruttowohnfläche: 170 m² | Anzahl Zimmer: 2 × 3,5 Zimmer (je ca. 85 m²)

[ Ausbau ]
Wandbeläge: Sichtbeton, Weissputz gestrichen, Zementspachtelbelag in den Badezimmern | Boden­beläge: Hartbetonbelag aus Weisszement im OG, ­Eichenparkett ­gedämpft im DG | Decken: Sichtbeton im OG, Gips verputzt im DG | Fenster: Holz-Aluminium mit 3-facher Verglasung und aussen liegendem ­Sonnenschutz

[ Technik ]
Erdsonden-Wärmepumpe | Fussbodenheizung | ­Lüftung: Bäder entlüftet | Photovoltaik

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