Heilt die Zeit alle Wunden?

Das Bundesgericht hat in einem luzernischen Urteil die seit vielen Jahren offene Frage bezüglich der Verwirkung des Anspruchs auf Wiederherstellung der legalen Situation bei Bauten und Anlagen ausserhalb der Bauzone geklärt. Gegenstand des Verfahrens war der Werkhof eines Bauunter­nehmens.

Text Walter Maffioletti

Erste Runde
Seit fast 50 Jahren besteht der im Rahmen eines kommunalen Verfahrens bewilligte Werkhof einer Baufirma, bestehend aus Magazin samt Lagerplatz. Er befindet sich in der Landwirtschaftszone einer Gemeinde im Kanton Luzern.

Im Jahr 2014 bewilligte die zuständige kantonale Behörde ein nachträgliches Baugesuch für Überdachungen beim Lagerplatz, das Aufstellen von Material- und Personencontainern und das Erstellen eines Waschplatzes sowie den Rückbau vorhandener Überdachungen und Container. Das Bundesgericht verweigerte in Gutheissung der Beschwerde durch das Bundesamt für Raumentwicklung ebendiese nachträgliche Baubewilligung, nachdem sie zuvor vom Kantonsgericht bestätigt worden war. Dieses Vorgehen begründete das Bundesgericht damit, dass die im Jahr 1972 im Rahmen eines Bauanzeigeverfahrens erfolgte kommunale Bewilligung des Magazins aufgrund der fehlenden Zustimmung der zustän­digen kantonalen Behörde formell und materiell rechtswidrig sei. Das Bundesgericht betonte in seinem Urteil, dass es sich beim Werkhof nicht um eine Erweiterung des ursprünglichen Lagerplatzes handle.

Zweite Runde
Im Oktober 2017 beantragte die Baufirma eine nachträgliche Bewilligung für bestehende Bauten und Anlagen und deren Teil­rückbau. Dagegen wurden Einsprachen erhoben, was schliesslich im Mai 2018 zur Verweigerung der nachträglichen Baubewilligung und zur Anordnung des Abbruchs bestimmter bestehender Bauten und Anlagen führte. Es wurde der ursprüngliche Zustand mit geschottertem und bekiestem Lagerplatz angeordnet. Die zuständige Behörde verzichtete indessen auf die Anordnung des Rückbaus des Magazins und dessen Anbauten sowie auf die Anordnung eines Nutzungsverbots für den Lagerplatz, das aufgrund der 30-jährigen Verwirkungsfrist, auf die sich die Eigentümer berufen könnten.

Kantonsgericht
Die dagegen eingereichten Beschwerden wurden vom Kantonsgericht im Juli 2019 abgewiesen, das mit dem Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichts, nach der ein Eintritt der Verwirkung spätestens 30 Jahre nach Fertigstellung des baugesetzwidrigen Zustands – auch aus­serhalb der Bauzone – möglich sei. Stichdatum sei vorliegend der 22. Januar 1983, 30 Jahre vor dem ersten Einschreiten der Baubehörde am 22. Januar 2013. Das Magazin sei 1972 und die Anbauten von 1976 bis 1982 erstellt worden, ohne dass diese seither wesentlich verändert worden seien. Ein Lagerplatz habe damals bereits ebenfalls existiert. Zwingende öffentliche Interessen, die eine Wiederherstellung auch nach Ablauf der Verwirkungsfrist erlauben würden, seien keine vorhanden. Der Werkhof in der Landwirtschaftszone sei zwar nicht zonenkonform, das stehe einer Verwirkung indessen nicht entgegen. Es handle sich weder um eine Landschaftsschutzzone noch um eine besonders bezeichnete Naherholungszone. Ausserdem befände sich der Werkhof ausserhalb des Siedlungsgebiets; es lägen keine übermässigen Lärmimmissionen und keine Gefährdung der Verkehrssicherheit durch den Zufahrtsverkehr vor. Das Kantonsgericht hielt mithin fest, dass die seit 1983 bestehende Verwendung des Areals als Lagerplatz und Magazin des Bauunternehmens aufgrund der Verwirkung rechtmässig sei.

Bundesgericht
Schliesslich setzte sich das Bundesgericht mit dieser Angelegenheit auseinander. Es befasste sich namentlich mit der Frage, ob die 30-jährige Verwirkungsfrist auch ausserhalb der Bauzone anwendbar sei, wie das im vorliegenden Fall von den Vorinstanzen bejaht wurde, sodass eine Beseitigung der streitigen Bauten und Anlagen nicht mehr erlaubt wäre.

Die Nachbarn machten geltend, die streitigen Bauten beziehungsweise der Lager- und der Werkplatz seien seit 1983 ständig umgebaut und erweitert worden, sodass die Verwirkungsfrist jeweils neu zu laufen begonnen habe und noch nicht abgelaufen sei. Das zuständige Bundesamt für Raumentwicklung weist darauf hin, dass die 30-jährige Verwirkungsfrist mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Trennung von Bau- und Nichtbauzone unvereinbar sei.

Die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichts ist inkonsistent. In zahlreichen Urteilen wurde die Frage, ob die 30-jährige Verwirkungsfrist ­ausserhalb der Bauzone anwendbar sei, ausdrücklich offengelassen. In der Literatur finden sich nur wenige Stellungnahmen zu dieser Frage.

Das Bundesgericht wog beim Werkhof die öffentlichen und die privaten Interessen ab und kam zu dem Schluss, dass der Wiederherstellungsanspruch seitens öffentlicher Hand nicht nach 30 Jahren verwirke: Alle materiell und formell baurechtswidrigen Bauten und Anlagen auf der Parzelle seien abzubrechen, einschliesslich des vor 1983 erstellten Magazins und seiner beiden Anbauten. Das erinnert an die zwei Hauptargumente, auf die sich das Bundesgericht im Grundsatzentscheid von 1981 in Bezug auf die 30-jährige Verwirkungsfrist innerhalb der Bauzone stützte: die Rechtssicherheit und die praktischen Schwierigkeiten, nach mehr als 30 Jahren die entsprechenden Umstände abzuklären. Anders sei die Situation gemäss Bundesgericht indessen bei Bauten ausserhalb der Bauzone, und zwar weil seit 1972 Bundesrecht anwendbar sei und weil die Nichtduldung einer rechtswidrigen Nutzung die Rechtssicherheit und die Rechtsgleichheit in Konstellationen ausserhalb der Bauzone fördere. Eine illegale Nutzung, die gegen den raumplanerischen Grundsatz der Trennung von Bauzonen und Nichtbauzonen widerspreche, sei vom Bundesgericht nicht tolerierbar.

Fazit
Gemäss dem Urteil des Bundesgerichts hat die Gemeinde den Rückbau anzuordnen. Was illegal ist, kann auch nach einem Zeitraum von über 30 Jahren nicht legal werden; die Zeit heilt eben nicht alle Wunden.

Urteil des Bundesgerichts 1C_469/2019, 1C_483/2019 vom 28. April 2021 nachzulesen unter bger.ch

Heilt die Zeit alle Wunden?
Walter Maffioletti – Rechtsanwalt, ICLCM Paris 2 Panthéon-Assas, Konsulent Vialex Rechtsanwälte AG, Zürich.

vialex.ch

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