Wie viele Bienen sind in der Nachbarschaft verträglich?

Ruedi Flückiger* ist Hobbyimker. Auf seinem Grundstück in einer mittelgrossen ländlichen Gemeinde innerhalb eines ruhigen Wohnquartiers betreibt er eine Imkerei.

Sein Nachbar, Albert Moser* ist darüber nicht erfreut. Als Albert den Verdacht hegt, sein Nachbar verfüge für das «Bienengetriebe» über keine Baubewilligung, erstattet er Anzeige bei der Gemeinde.
Daraufhin reicht Ruedi ein nachträg­liches Baugesuch ein, und zwar für das Aufstellen von 12 Prüfvölkermagazinen, 4 Pflegevölkermagazinen und maximal 40 Befruchtungskästen zwecks Bienenhaltung sowie für das Erstellen einer Bretterwand. 40 Befruchtungskästen enthalten im Durchschnitt je 1000 Bienen, was insgesamt etwa einem vollwertigen Volk entspricht, somit 17 Bienenvölkern.

Die Gemeinde weist die Einsprache Alberts ab und erteilt Ruedi die nachträgliche Baubewilligung. Gegen diesen Entscheid reicht Albert Beschwerde bei der zuständigen Instanz ein und beantragt, der kommunale Entscheid sei aufzuheben und das Baugesuch abzuweisen. Dabei macht er vor allem geltend, die Anzahl der ersuchten Bienenvölker sei in der Dorfzone nicht zonenkonform.
Zusammengefasst rügt er erstens die zu hohe Anzahl an Bienenvölkern, was nicht ortsüblich und deshalb zonenwidrig sei, zweitens die erhöhte Bienendichte im Wohnquartier und drittens die massive Beeinträchtigung der Nachbarn. Der letzte Punkt zeige sich insbesondere daran, dass längeres Lüften unmöglich sei und Gartenarbeiten sowie der Aufenthalt im Freien mit Bienenstichen einhergehe. Zudem würden Fenstersimse und die zum Trocknen aufgehängte Wäsche durch Bienenkot verschmutzt. Insgesamt schränke die Angst vor Bienenstichen die Lebensqualität ein.

Frage der Zonenkonformität
Ist das Betreiben einer Imkerei in diesem Ausmass auf privatem Grundstück in der Dorfzone einer ländlichen Gemeinde erlaubt? Bestimmt denken Sie: «Keinesfalls! Mitten in einem Wohngebiet?» Die Argumentation des zuständigen Gerichts ist spannend: In diesem Fall geht es um die Frage der Zonenkonformität der Imkerei von Ruedi Flückiger. Die Zonenkonformität richtet sich nach der Nutzungsplanung, welche die zulässige Nutzung des Bodens ordnet. Das Instrument der Nutzungsplanung sind Nutzungszonen mit zugehörigen Nutzungsvorschriften. Nutzungszonen bezeichnen parzellenscharf, an welchem Ort für welchen Nutzungszweck welches Recht gilt.
Diese Regeln machen sich bei der Baubewilligung entsprechend bemerkbar: Steht die Imkerei von Ruedi in Übereinstimmung mit den «Nutzungsregeln» der entsprechenden Zone, in welcher sich sein Grundstück befindet? Das im vorliegenden Fall anwendbare kantonale Baugesetz hält fest, dass Bauten und Anlagen nicht zu Einwirkungen auf die Nachbarschaft führen dürfen, die der Zonenordnung widersprechen. Nur Immissionen, die mit der zonengemässen Nutzung verbunden sind, müssen geduldet werden.

Das Gericht hielt fest, die Grundstücke der Parteien würden gemäss kommunaler Nutzungsplanung der Dorfzone angehören. In dieser Dorfzone sei eine vielfältige Nutzung erlaubt. So seien Laden-, Büro-, Gewerbe- und Wohnbauten zugelassen. In einer gemischten Zone dürften Gewerbe errichtet werden, die zwar gewisse Unannehmlichkeiten mit sich brächten, das gesunde Wohnen aber nicht wesentlich beeinträchtigten. Es müssten somit mehr Immissionen in Kauf genommen werden als in reinen Wohnzonen. Und die Tierhaltung sei als Gewerbe an sich in der gemischten Zone zulässig. Damit stand fest, dass das Halten von Bienenvölkern an sich in dieser Dorfzone grundsätzlich zonenkonform war. Weitere Fragen blieben allerdings bestehen: Wie viele Bienen beziehungsweise Völker sind zulässig? Wo liegt die Toleranzschwelle der zulässigen Immissionsgrenze, damit die Imkerei noch als «mässig störend» gilt und damit zonenkonform ist?

Von tierischen Vergleichen
Zur Haltung von Bienen in der Mischzone waren bis zum vorliegenden Fall keine Gerichtsentscheide bekannt, weshalb das Gericht einen tierischen Vergleich ziehen musste: Drei Hunde pro Haushalt in der Wohnzone wurden gemäss einem bernischen Gerichtsentscheid wegen ihrer Immissionen als nicht zonenkonform eingestuft. Die Haltung von drei bis vier Katzen pro Familie in der Wohnzone gilt als oberste Grenze des Zulässigen, acht Katzen zuzüglich zweier Würfe pro Jahr dagegen als nicht mehr zonenkonform. Die Haltung von elf Katzen, die keinen freien Auslauf haben, beurteilte ein bernisches Gericht dagegen als in der Wohnzone zulässig.
Gemäss einem älteren Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern können in ländlichem Gebiet bis zu 30 Hühner und 2 Hähne zulässig sein. Im Kanton St. Gallen wurden Pferde­boxen für maximal vier Pferde zugelassen. Diese Gerichtsentscheide zeigen: Die Anzahl an Tieren und Immissionen gehen Hand in Hand bei der Beurteilung der Zonenkonformität – je mehr Immissionen, desto weniger Tiere sind zulässig. Dennoch ist kein Fall gleich. Es muss immer eine Einzelfallbeurteilung vorgenommen werden.

Bienen als Präzedenzfall
Aber wie verhält es sich in einer gemischten Wohn- und Gewerbezone? Dem Gericht fehlten für die Dorfzone solche Präzedenzfälle zur Tierhaltung weitestgehend. Angesichts der aufgeführten Rechtsprechung zur Tierhaltung in der Wohnzone und unter Berücksichtigung der erhöhten Schwelle des Zulässigen in der Mischzone stufte das Gericht die Auswirkungen durch die Haltung von 17 Bienenvölkern in der Dorfzone als grundsätzlich tolerierbar ein.
Um die spezifischen Verhältnisse beziehungsweise Emissionen vor Ort konkret zu beurteilen, bestellte das Gericht ein Fachgutachten und führte im Beisein der Parteien sowie einer Veterinärin des zuständigen kantonalen Amtes einen Augenschein durch.

Die Gutachterin kam in ihrem Bericht zu dem Schluss, dass die Imkerei sehr gute Voraussetzungen dafür biete, dass die Nachbarschaft wenig bis keine Immissionen zu erwarten habe, gerade durch die aufgestellte Bretterwand. Der Augenschein vor Ort bestätigte eine fachgerechte und einwandfrei geführte Imkerei. Auch das Gerichtspersonal hielt sich anlässlich des Augenscheins längere Zeit unmittelbar vor den Bienenmagazinen auf und konnte ungestört arbeiten.

Insgesamt hielt das Gericht fest, dass die ersuchte Bienenhaltung unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse und trotz der Nähe zu umliegenden Wohnhäusern in der betreffenden Dorfzone zulässig sei. Übrigens ist die Frage der Zulässigkeit der Immissionen objektiv zu beantworten. Die subjektive Angst von Albert vor Bienenstichen und die damit geltend gemachte Einschränkung der Lebensqualität stand bei der vorgenommenen objektiven Beurteilung deshalb nicht im Vordergrund.

Laurène GartmannJuristin, Rechtsdienst des SIA (Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein)
Laurène GartmannJuristin, Rechtsdienst des SIA (Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein)

sia.ch

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