Gebäudehüllen

Obwohl der Bauherr nicht in jeder Bauzone frei über das Material und die Farbe der Hausfassade bestimmen kann, lohnt es sich dennoch, über die Möglichkeiten Bescheid zu wissen. Ob Holz, Keramik, Putz, Sichtbeton oder sogar Photovoltaik: Die Auswahl ist gross, wie Fassadenfachmann Reto Dürlewanger aufzeigt.

Gebäudehüllen
Interview   Anna Ettlin
Obwohl der Bauherr nicht in jeder Bauzone frei über das Material und die Farbe der Hausfassade bestimmen kann, lohnt es sich dennoch, über die Möglichkeiten Bescheid zu wissen. Ob Holz, Keramik, Putz, Sichtbeton oder sogar Photovoltaik: Die Auswahl ist gross, wie Fassadenfachmann Reto Dürlewanger aufzeigt.
Reto Dürlewanger, welche Funktionen erfüllt die Fassade bei einem Einfamilienhaus?Als äusserste Hülle des Hauses muss die Fassade ein Wind- und Wetterschutz sein und sämtlichen Umwelteinflüssen standhalten: Regen, Schnee, Hagel, UV-Licht usw.

Dass es unterschiedliche Fassadenmaterialien gibt, ist bekannt. Welche Konstruktionsarten unterscheidet man?

Die zwei wichtigsten Möglichkeiten sind hinterlüftete Fassade und Kompaktfassade. Eine Kompaktfassade entsteht in der Regel, indem das Gebäude mit Platten aus geschäumtem Polystyrol gedämmt und dann verputzt wird. Bei einer hinterlüfteten Fassade wird sehr oft eine mineralische Dämmung eingesetzt. Das Bekleidungsmaterial wird nicht direkt darauf, sondern in einem kleinen Abstand auf einem Tragwerk mit Holzlattung oder Aluminium-Profilen montiert. So entsteht zwischen Dämmschicht und Bekleidungsmaterial eine Ebene, in der die Luft zirkulieren kann: die Hinterlüftung.

Welche Fassadenbauweise ist bei Einfamilienhäusern in der Schweiz am meisten verbreitet?

Wenn man alle Bekleidungsmaterialien der hinterlüfteten Fassade zusammenzählt, kommt der Markanteil an hinterlüfteten Fassaden auf etwa 25 Prozent. Der Klassiker bei hinterlüfteten Fassaden ist sicher Faserzement, bekannt unter dem Markennamen Eternit. Eternitfassaden trifft man in der Schweiz häufig an.

«Eine gut ausgeführte hinterlüftete Fassade hält 40 bis 50 Jahre.»
Reto Dürlewanger

Welche Vor- und Nachteile haben die beiden Bauweisen?

Kompaktfassaden sind, zumindest kurzfristig gesehen, preiswerter als hinterlüftete Fassaden, und ihre Bauzeit ist etwas kürzer. Allerdings muss man eine verputzte Fassade nach etwa 15 Jahren neu streichen, da sich die Umwelteinflüsse auf dem Putz schneller bemerkbar machen. Eine sauber ausgeführte hinterlüftete Fassade hält dagegen 40 bis 50 Jahre. Zudem bietet sie gewisse bauphysikalische Vorteile. Beispielsweise wärmt sich ein Haus mit einer hinterlüfteten Fassade im Sommer weniger schnell auf. Durch die Erwärmung entweicht die Luft aus der Hinterlüftungsebene durch die Entlüftung am Dachrand, zugleich strömt beim Fassadenfuss frische, kühlere Luft nach. So wird die Wärme abgetragen, bevor sie ins Haus gelangen kann. Durch die mineralische Dämmung gestaltet sich zudem der Brandschutz einfacher. Und schliesslich ist ein weiterer grosser Vorteil der hinterlüfteten Fassade ihre architektonische Vielfalt. Man hat eine sehr grosse Auswahl an Bekleidungsmaterialien: Holz, Metall, Kunstharz, Eternit, Feinsteinzeug, Naturschiefer, alles ist möglich. An der hinterlüfteten Fassade können sogar Strom produzierende Photovoltaik-Module zum Einsatz kommen.

Wie darf man sich eine moderne Solar-Fassade vorstellen?

Es ist wichtig zu wissen, dass ein grosser technischer Fortschritt bei den Photovoltaik-Modulen für die Fassade stattgefunden hat und immer noch stattfindet. Es gibt längst nicht mehr nur die anthrazitfarbigen Platten mit sichtbaren Stromleitungen. Heute gibt es auch farbige Module. Mit ausreichendem Budget findet man auch objektspezifische Lösungen, wobei auch die Grösse der Platten individuell bestimmt werden kann. Besonders im Winter, wenn die Sonne fast horizontal auf die Fassade scheint, lohnt sich die Photovoltaik. Dann kann der Ertrag an der Fassade sogar höher sein als auf dem Dach.

Welche Gestaltungsmöglichkeiten hat man bei einer hinterlüfteten Fassade?

Neben Farben und Materialien kann man die Fenstereinteilung so an das Bekleidungsprodukt anpassen, dass die vertikalen und horizontalen Linien mit der Fassade im Einklang sind. Für die moderne Architektur, die sich eher geradlinig und dezent zeigt, hat die hinterlüftete Fassade einen weiteren Vorteil: Mit einem guten Bekleidungsmaterial kann man das Vordach kleiner gestalten oder sogar ganz weglassen.

Was gilt es bei der Auswahl des Bekleidungsmaterials und der Farben zu beachten?

Die Fassade ist je nach Standort unterschiedlichen Umwelteinflüssen ausgesetzt. Wohnt man in einer Gegend, wo es beispielsweise viele Bäume hat, kann es sein, dass die Pollen durch Regen an die Fassade gelangen und sie verschmutzen. Dasselbe gilt für eine befahrene Strasse, die Feinstaub verursacht. In diesem Fall sollte man ein Material nehmen, das eine geschlossene Oberfläche hat. Besonders geeignet ist Feinsteinzeug. Ist die Fassade in zehn Jahren sichtbar verschmutzt, kann man sie mit Hochdruck reinigen lassen, und schon sieht sie aus wie neu. Wenn man einen dunkleren Farbton wählt, sind Verunreinigungen zudem weniger stark sichtbar. Auch die Fensterzargen, die bei einer hinterlüfteten Fassade entweder aus Bekleidungsmaterial oder aus Blech ausgeführt werden, können verschmutzen. Je heller die Fensterbänke sind, desto eher sieht man den Schmutz.

Lassen sich die einzelnen Materialien auch kombinieren?

Das ist möglich. Man sieht immer wieder die Kombination aus Holz und Eternit, oder auch kombiniert mit einer Kompaktfassade. Dann macht man auf der Westseite, die dem Wetter am meisten ausgesetzt ist, eine widerstandsfähigere hinterlüftete Fassade, und die restlichen Seiten verputzt man. Auch bei einer Solarfassade werden Bekleidungsprodukte gemischt. Die Module kommen dort zum Einsatz, wo sie auch etwas bringen, rundum kann mit einem anderen Material gearbeitet werden.

Kann der Bauherr über das Aussehen seiner Fassade frei entscheiden?

Das ist nicht in jeder Bauzone möglich. Je nach Zone und Gemeinde kann der Ortsbildschutz vorsprechen und die Auswahl stark eingrenzen. Deswegen ist es empfehlenswert, dies frühzeitig abzuklären, am besten gemeinsam mit einem Fassadenplaner. Ansonsten kann es sein, dass man etwas offerieren lässt, wofür man gar keine Baubewilligung erhält.

Wie hoch ist der Wartungsaufwand für eine Fassade?

Eine hinterlüftete Fassade kann man nach Bedarf reinigen, wie bereits angesprochen. Ansonsten ist sie sehr wartungsarm. In der Regel achtet man als Eigentümer darauf, dass man noch Reserveplatten des Bekleidungsmaterials hat. Dann ist es einfach, ein Element auszuwechseln, falls es mal beschädigt werden sollte. Bei einer Kompaktfassade ist es etwas schwieriger, Schäden auszubessern. Wenn beispielsweise Vögel den Putz aufpicken und in der Dämmung nisten, was vorkommen kann, lässt sich das Loch zwar ohne Weiteres schliessen, es ist aber schwierig, den exakten Farbton des Putzes nachzustellen, sodass oft ein Fleck zurückbleibt.

Kann man auch an einer hinterlüfteten Fassade nachträglich etwas montieren, beispielsweise eine Lampe oder eine Sicherheitskamera?

Das ist kein Problem. Mit modernen Dübeltechiken lassen sich Gegenstände mühelos an der Unterkonstruktion montieren. Für schwerere Objekte, etwa ein Vordach, muss man wissen, an welchen Stellen die Fassadenprofile montiert sind. Dann kann man etwas direkt an der Unterkonstruktion befestigen. Weiss man bereits beim Bau, wo später die Montage vorgesehen ist, kann man die Unterkonstruktion zusätzlich verstärken. Bei einer Kompaktfassade muss man in jedem Fall bis ins Mauerwerk bohren, damit es auch hält.

Ist es auch beim Einfamilienhaus möglich, eine bepflanzte Fassade zu realisieren?

Begrünte Fassaden, die man von Prestige-Objekten im Ausland kennt, sind in der Schweiz noch nicht sehr verbreitet. Aber mit einer hinterlüfteten Fassade ist eine Begrünung ganz klar machbar! In Zusammenarbeit mit einem guten Fassadenbauer und vielleicht noch mit einem innovativen Gärtner lässt sich eine objektbezogene Lösung erarbeiten.

Was halten Sie von Sichtbetonfassaden?

Das ist eine moderne, zeitgemässe Lösung, die man relativ viel antrifft. Auch Sichtbeton lässt sich übrigens als eine hinterlüftete Fassade ausführen. Dafür werden die Betonelemente millimetergenau im Produktionsbetrieb vorgefertigt und vor Ort aufs Tragwerk montiert. Eine gute Planung ist dabei notwendig.

Was möchten Sie Bauherrschaften zum Thema Fassade noch ans Herz legen?

Bei einer energetischen Sanierung sollten die Arbeiten in der richtigen Reihenfolge durchgeführt werden: Zuerst werden die Fenster saniert, dann kann die neue Fassade sauber daran angeschlossen werden. Und zum Schluss, wenn die Gebäudehülle erneuert ist, tauscht man die Heizung aus. Es lohnt sich für Bauherren, sich vor dem Baubeginn an verschiedenen Orten zu informieren. Und ob Sanierung oder Neubau: Für den Bau einer hinterlüfteten Fassade ist es wichtig, dass man einen Fassadenplaner mit ins Boot zieht. Besprechen Sie dies am besten frühzeitig mit Ihrem Architekten.

«Im Winter kann der Strom-Ertrag an der Fassade besser sein als auf dem Dach.»
Reto Dürlewanger
Gebäudehüllen
Leiter Fassade, merz + egger ag, St. Gallen
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