Wunderland in Bozen
In seinem Heimatdorf Seis hat sich der Architekt Stefan Rier einen Kindheitstraum erfüllt. Dazu hat er sieben Jahre und sieben Entwürfe gebraucht.

Extrovertiertes Interieur
Stefan Rier glaubt nicht an die Philosophie von «weniger ist mehr», und der asketische Einrichtungsstil widerspiegelt seinen Charakter so gar nicht. Sein Zuhause ist eher das Gegenteil. Es zeigt eine faszinierende Kombination aus hochkarätiger, klarer und zeitgenössischer Architektur sowie einem Innenleben, das von einer surrealistischen Welt inspiriert ist, wie jene der fantasievollen Geschichte «Alice im Wunderland» und der satirischen Komödie «Mon oncle», welche die moderne, sterile Welt auf die Schippe nimmt. Diese Kombination widerspiegle auch seinen Hintergrund als Innendekorateur und Architekt, «was zwei komplett verschiedene Welten sind», sagt Stefan Rier. Tatsächlich bringt er mit dem Interieur seine verspielte und humorvolle Lebenseinstellung zum Ausdruck. So beispielsweise durch die tierischen Skulpturen und Leuchten: Zwei schwarze Plastikaffen schwingen auf Hängelampen durch den grossen Raum, eine riesige Kupferschildkröte kriecht durchs Badezimmer, und weisse Mäuse tanzen auf den Holzbalken und Fenstersimsen. «Irgendwann wurde ich von meiner Frau Steffi gebeten, die Dekoration etwas einzuschränken, um nicht zu wild zu werden», sagt Stefan Rier lachend.
Bei der Materialwahl liess der italienische Architekt seiner Kreativität ebenso freien Lauf und experimentierte auf den verschiedenen Ebenen, die das Hausinnere zu bieten hat. Von den mit Stofftapeten in geometrischen Mustern ausgekleideten Schlafzimmerkuben über die perforierte Metalltreppe bis zu den Reliefkacheln, welche die Küche und die Badezimmerelemente schmücken. Stefan Rier wählte für ein Berghaus eher unkonventionelle Töne wie Blau, Türkis und Petrol. «Durch die traditionellen Materialien wie Holz, Stein und Filz einerseits und das unterschiedliche Blau andererseits habe ich die beiden Welten, in denen ich aufgewachsen bin, miteinander verbunden», erklärt er. Damit verweist er auf seine Kindheit im alpinen Südtirol sowie auf seine Jugend- und Bildungsjahre in Italien und im Mittelmeerraum, woher auch der Einfluss der orientalischen Muster und Nuancen stammt, die bei diesem Haus zur Anwendung kommen.
Offene Räume und hängende Zimmer
Ein Steinsockel bildet die Basis. Er beherbergt die Garage und die Gästewohnung mit drei Schlafzimmern. Darüber stützt sich eine Holzrahmenkonstruktion, die den Wohnraum der Riers mit offenen Etagen gestaltet. Das Erdgeschoss vereint Küche, Ess- und Wohnbereich unter einem 12 Meter hohen Dach und bietet Raum für das gemeinschaftliche Beisammensein. Dazwischen hängen einzelne Kuben, die das Ober- und Dachgeschoss bilden. «Ich wollte das Gefühl eines grossen, offenen Raumes auf drei Ebenen, wie ich es aus dem Heustadel kenne und das noch so tief in meinem Herzen verankert ist, beibehalten», sagt Stefan Rier.
Je höher man auf der perforierten Treppe steigt, die sich wie ein Band durch den Raum schlängelt, desto privater werden die Räume. Nach den geschlossenen Schlafzimmern und den teilweise offenen Badezimmern im Obergeschoss erreicht man den intimsten Raum im Dachgeschoss: die Sauna und eine Terrasse mit Whirlpool. Dank der strategisch klugen Position ist man hier vor fremden Blicken geschützt. Den Wellnessbereich schätzen Stefan Rier und seine Frau sehr. Er ist ihr Zufluchtsort nach einem arbeitsreichen Tag «und so nah am Himmel», fügt Stefan Rier hinzu. Dank dem Dachfenster lassen sich hier die Natur und das Wetter am besten beobachten. Hier hat man auch den schönsten Ausblick auf die Dolomiten und das Tal.
Respektvoll gegenüber traditioneller Architektur
Die Nordseite des Hauses ist komplett verschlossen. Die Holzfassade wird mit zwei Metallelementen, die zu den Kuben im Hausinneren gehören, unterbrochen. Auf der Ost- und der Westseite gibt es nur wenige Fenster. Dadurch kommt der Neubau einerseits der Ästhetik einer Scheune sehr nah, andererseits schützen die fensterarmen Wände vor Strassenlärm und gewähren die nötige Privatsphäre. Das Haus steht nämlich mitten im Dorf und nahe zu den Nachbarhäusern. Zum Süden hin öffnet es sich mit raumhohen Fenstern. Zusammen mit dem Dachfenster versorgt die Glasfassade das Innenleben maximal mit Tageslicht. Mit der vorgehängten Holzkonstruktion und dem Satteldach wird die Anlehnung an die traditionelle Architektur gekonnt abgerundet. Zusammen mit dem Vordach ist so auch teilweise für Sonnenschutz gesorgt.
Die Innenarchitektur ist geprägt von der Tragkonstruktion mit verschiedenen Kuben und Terrassen, die in den Holzrahmen eingebunden sind, sodass das Licht über den gesamten offenen Raum zirkulieren kann. «Die Öffnung, die Aussichten und die Lichtspiele an den Wänden sind ein wahres Erlebnis. Aber was mich am meisten freut, ist, wenn ich ein amüsiertes Lächeln auf dem Gesicht unserer Gäste sehe.» Mittlerweile haben Stefan und Stefanie Rier eine Tochter. Zu welchen Ideen wird wohl sie eines Tages inspiriert sein, wenn sie doch in einem solch einzigartigen, anregenden Haus gross wird?
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Architekten-Interview
Stefan Rier, Architekt.noa* network of architecture, Bozen und Berlin. noa.network
Stefan Rier, wie kamen Sie zu diesem Grundstück für Ihr Haus, und weshalb haben Sie sich dafür entschieden?
Das Grundstück liegt im Ortszentrum von Seis am Schlern. Das Dorf ist eine halbe Stunde Autofahrt von Bozen entfernt und liegt am Fusse des Naturparks Schlern. Somit ist es ein optimaler Ausgangspunkt zum Wandern im Sommer und zum Skifahren im Winter und nahe am Arbeitsplatz. Wir kannten die Besitzer des Hauses, das auf diesem Grundstück stand. Als sich die Gelegenheit ergab, haben wir es vor 15 Jahren gekauft.
Weshalb heisst das Projekt «Messner»?
Um 1850 gab es auf dieser Parzelle einen Heustadel. Dieser wurde um 1900 abgerissen. Seitdem lebte hier die Familie Messner. Die alte Eingangstür von 1895 wurde restauriert und dient noch heute als Eingang. Diese Tür trägt den Namen des ersten Besitzers Franz Messner. Seitdem ist das Haus im Dorf als das «Messner-Haus» bekannt. Ich wollte diese Geschichte nicht unterbrechen.
Sie haben sieben Entwürfe erstellt und sich sieben Jahre Zeit für dieses Projekt gelassen. Weshalb?
So habe ich das noch nie gesehen. Ich bin nicht abergläubisch. Das ist ein Zufall. Oder vielleicht auch nicht? Ich habe mir nur extrem viel Zeit genommen, um über jedes Detail nachzudenken. Ich liebe es, Entwürfe zu hinterfragen und zu verbessern. Oft lande ich dann wieder beim ersten Entwurf. Unser Haus ist für mich ein Projekt, wo Zeit eine andere Rolle spielt. Sei es in der Planung, sei es jetzt.
Worin unterscheiden sich die Entwürfe?
Im ersten Entwurf, den ich am 31. Januar 2010 abgeschlossen habe, ist das Haus noch aus Stein mit einem grünen (Pfanzen-)Band, welches das Haus teilt. Am 20. Juli 2011 sieht das Haus dem heutigen bereits ähnlich. In diesem Jahr begann auch die Genehmigungsphase, die sich über ein gesamtes Jahr ausdehnte. Ich habe es nicht gleich geschafft, die Baukommission von meinem Bauvorhaben zu überzeugen. Interessant ist, dass sich das Projekt in dieser Phase extern niemals geändert hat, intern allerdings haben sich einige Funktionen verschoben.
Wie war es für Sie und Ihr Team, Ihr eigener Klient zu sein?
Spannend! Für mich war es ein ständiger Dialog mit meiner Einstellung zur Architektur und zum Interior-Design. Und ich sah mich vor Themen gestellt, die nicht immer leicht zu bewältigen waren.
Bestimmt lieben Sie alles an diesem Haus. Womit konnten Sie Ihre Frau am meisten beeindrucken?
Ich denke, dass all diese Treppen im Haus sie am meisten begeistert haben. Sie war beeindruckt davon, wie kindersicher das Haus doch ist. Unsere Tochter hat mit den vielen Treppen überhaupt kein Problem.
TECHNISCHE ANGABEN








[ ARCHITEKTUR ]
Stefan Rier, Lukas Rungger | noa* – network of architecture | noa.network
[ KONSTRUKTION ]
Holzbau mit vorgehängter Holzkonstruktion | Satteldach
[ Raumangebot ]
Nettowohnfläche: 220 m² | Anzahl Zimmer: 5
[ Ausbau ]
Boden: Harzboden, gebrannte Tonziegel mit Glasur und «Crackle»-Technik in Küche und Kinderbad, Porzellanfliesen mit Glasur in Bad und Terrasse | Wände: Thermolärche, Kupferblech bei Sauna, Tapeten bei den Schlafzimmern | Fenster: Holz
[ Technik ]
Gasheizung | Cheminée


























