Weitblick bis zum Horizont
Diese Liegenschaft bekam von den Einwohnern der Gemeinde Oberrohrdorf den Spitznamen «Feldstecher» verliehen, da sie neben der hervorragenden Aussicht vor allem auch wegen der Fensterfront mit markantem Blendschutz an ein schweres Binokular erinnert.

Glückliche Zufälle
Die Bauherrin, die aus Oberrohrdorf stammt, war überrascht, dass sie ausgerechnet in ihrem Heimatdorf das perfekte Bauland für ihr Eigenheim finden sollten. Wie es der Zufall wollte, stand gerade in dieser Gemeinde ein Grundstück mit einem alten und seit längerer Zeit leerstehenden Haus zum Verkauf. Viele Interessenten wurden vermutlich von den besonderen Umständen dieser Parzelle abgeschreckt, denn sie weist eine extreme Steillage auf und grenzt unmittelbar an die stark befahrene Hauptstrasse.
Der Grundriss des Hauses ist eine Verkleinerung der Parzelle, wobei ihre Geometrie ein asymmetrisches Rechteck darstellt und dadurch die Westseite des Hauses länger ist als die Ostseite. Auf diese Weise konnten die Nebenräume sowie die Garage elegant in den Hang hinein geplant werden. Im Übrigen wünschte sich der Bauherr Simon Gassmann ein rechteckiges Haus mit strengen Konturen. Diese Strenge brachte der Architekt durch die gerade Fensterfront, die wie mit einem Blendschutz eingefasst zu sein scheint, zum Ausdruck. Von innen wirken die auskragenden Wände wie ein Rahmen, der die unverbaubare Aussicht zu einem Gemälde macht. Sie sind aber auch und in erster Linie eine raffinierte Lösung, die den Wohn- und Schlafräumen mit grossen Fensterfronten Schatten spendet. «Das Haus hat von den Gemeindebewohnern den Übernamen ‹Feldstecher› erhalten», erzählt der Architekt, «egal, ob es ironisch, positiv oder zynisch gemeint ist, ich finde den Namen passend wegen der Aussicht und der Form und Farbe des Baukörpers.»
Auf den Kopf gestellt
Der Eingang zum Haus liegt auf der Strassenseite. Wer das Haus betritt, findet sich zunächst in der Garderobe wieder. Gleich daneben ist das Gäste-WC. Passiert man die Schiebetür, die den Eingang vom Wohnraum trennt, so eröffnet sich einem eine imposante Aussicht über saftig grüne Wiesen, hohe Baumkronen und weisse Bergspitzen am Horizont. Wie auf einer Bühne steht die Küche ein paar Treppenstufen höher als der Essbereich und die Sofalandschaft, sodass auch während des Kochens die schöne Aussicht genossen werden kann. Das mittlere Geschoss ist in zwei Flügel aufgeteilt und beherbergt die Privaträume der Familie: vier Schlafzimmer und zwei Badezimmer. Auch der Technikraum ist hier untergebracht. Einbauschränke entlang des Korridors schaffen viel Stauraum und machen Kleiderschränke in den Zimmern überflüssig. Im Sockelgeschoss sind ein grosser Abstellraum, ein Büro/Musikzimmer und die Waschküche sowie der Zugang zum Garten. «Wir haben mit diesem Raumkonzept das Haus quasi auf den Kopf gestellt», sagt Reto Häfele. Denn statt eines vielgesehenen Attikageschosses mit Terrasse hat der Architekt ein Sockelgeschoss mit Garten errichtet. Von hier hat man immer noch eine tolle Panoramasicht. Zudem ist der Gartenplatz durch seine Lage überdacht und vor Strassenlärm geschützt. Die schlichte Gartengestaltung bildet einen fliessenden Übergang zur Landwirtschaftszone. Dadurch wird der Eindruck erweckt, dass die angrenzende Weide zum Grundstück gehört. Ausbaupotenzial hat der Garten dennoch, so wurden bereits Anschlüsse für eine etwaige Outdoorküche vorbereitet.
Perfekt im Einklang
Der Bau präsentiert sich praktisch durchgehend in den Farben Schwarz, Grau und Braun. Auch die Fassade ist dunkel gehalten. Die angenehme Stimmung im Hausinneren wird im Wesentlichen durch das Zusammenspiel von Sichtbetonwänden und Parkett aus Kernesche generiert. Bei den Treppen ruft die Maserung des Holzes sogar einen hübschen Wasserfalleffekt hervor. Speziell gelungen sind in dieser Hinsicht auch die Schlafzimmer. Durch die Leichtbautrennwände aus Holz konnte der Architekt kurzfristig das Raumprogramm anpassen, als bekannt wurde, dass die Bauherrschaft Zwillinge erwartete. In Zukunft könnten diese Trennwände zurückgebaut werden. Die hohe Funktionalität und Flexibilität des Gebäudes zeigt sich auch am Oblicht über dem Treppenhaus: Falls sich die Familie eines Tages ein Attikageschoss wünschen sollte, könnte der Zugang durch eine Treppe direkt an dieser Stelle angesetzt werden.
Durch die starke Eingliederung des Hauses in den Steilhang musste ein Grossteil des Baus aus Beton erstellt werden. So waren sich Bauherren und Architekt von Anfang an einig, gleich den ganzen Bau mit Beton zu errichten und diesem Werkstoff auch seinen Platz im Erscheinungsbild der Liegenschaft zuzugestehen. «Wir haben bewusst mit wenigen Materialien gearbeitet, da wir uns eine reduzierte und ehrliche Bauweise wünschten», erklärt Reto Häfele. Auch das Thema Energie war relevant, weshalb das Haus nach Minergie-Baustandard gebaut wurde. Durch die grosse Verglasung profitieren die Räume von der passiven Energie der Sonne.
Das Endprodukt erfreut die Familie und den Architekten. Auch bei eingien Dorfbewohnern kommt der Neubau gut an, die Architektur provoziere aber auch Kritik.
Architekten-Interview
Reto Häfele, wie haben Sie die Entwurfsarbeit für dieses Haus erlebt ?
Es war eine spannende Zeit. Die ersten Ideen haben die Bauherrschaft und ich während unserer gemeinsamen Skiferien aufgezeichnet. Mit meinem Team habe ich schliesslich von schräg bis klassisch alle möglichen Varianten ausprobiert. Die Bauherrschaft hat uns aber diese Freiheit auch gegeben. Entwerfen bedeutet für uns auch Verwerfen. Es ist ein wichtiger Prozess – einerseits, um herauszufinden, was dem Auftraggeber wirklich gefällt, andererseits muss die Planung akkurat sein, damit die Architektur funktioniert. Die Geduld der Bauherren hat sich auf jeden Fall gelohnt, nach einem Jahr Planungszeit konnten wir den Edelrohbau in nur acht Monaten einzugsbereit vollenden.
Welche Herausforderungen stellten sich?
Herausfordernd war die Bauphase. Da die Parzelle an eine Landwirtschaftszone und eine Hauptstrasse grenzt, war der Platz für die Bauarbeiten inklusive Installation auf die Fläche des Grundstücks beschränkt. Ansonsten verlief alles ohne Schwierigkeiten. Die Zusammenarbeit mit der Gemeinde war äusserst angenehm und vorbildlich.
Worauf sind Sie besonders stolz ?
Das Schönste ist, dass sich die Familie im neuen Haus wohlfühlt, das erfüllt mich mit Stolz. Abgesehen davon gefällt mir die Stimmung, die das Parkett aus Kernesche in den Räumen erzeugt.
Welchen Rat haben Sie für unsere Leser, die ihr Traumhaus bauen wollen?
Geben Sie dem Architekten genug Zeit für die Planung. Zeit, um Sie und Ihren Geschmack kennenzulernen und Ihre Bedürfnisse zu verstehen. Zeit, um die Ideen aufs Papier zu bringen und Zeit, um Entwürfe zu hinterfragen.
Was würden Sie gerne einmal bauen ?
Ein Traumprojekt wäre für mich, ein Hockeystadion zu realisieren. Aber so viele Möglichkeiten dazu gibt es nicht, deshalb wird es wahrscheinlich noch lange ein Traum bleiben. Was mich an Stadien so fasziniert, ist nicht nur das ästhetische Erscheinungsbild, sondern das, was im Gebäude drinnen passiert, die akustische Stimmung, die bei einem Spiel erzeugt wird. Auch sonst finde ich es spannend, wenn die Funktion eines Gebäudes im Vordergrund steht.
TECHNISCHE ANGABEN
[ ARCHITEKTUR ]
Reto Häfele | haefele schmid architekten ag | hsar.ch
[ KONSTRUKTION ]
Massivbau | Flachdach extensiv begrünt | Hinterlüftete Fassade verputzt
[ Raumangebot ]
Nettowohnfläche: 190 m² | Anzahl Zimmer: 5,5 Zimmer
[ Ausbau ]
Boden: Kernesche | Wandbeläge: Sichtbeton | Fenster: Metallfenster, Hebeschiebefronten dreifach verglast
[ Technik ]
Luft-Wasser-Wärmepumpe | Kontrollierte Wohnraumlüftung | Bodenheizung | Minergie



































