Harte Schale, natürlicher Kern

Vor- und zurückspringende Glasbandfenster mit blauem Rahmen durchbrechen den weiss gefärbten Sichtbeton und geben diesem Haus ein markantes Gesicht. Im Innern jedoch funktionieren sie als Bilderrahmen und Sitznischen.

Harte Schale, natürlicher Kern
Die blauen hervorstehenden und teilweise zurückversetzten Glasbandfenster geben dem Haus ein Gesicht.
Text Lina Giusto | Fotos Tanya Hasler
Vor- und zurückspringende Glasbandfenster mit blauem Rahmen durchbrechen den weiss gefärbten Sichtbeton und geben diesem Haus ein markantes Gesicht. Im Innern jedoch funktionieren sie als Bilderrahmen und Sitznischen.
Der Bauherr wohnt heute wieder dort, wo er einst aufwuchs. Das ehemalige Elternhaus auf dem 1300 Quadratmeter grossen Gelände am Hang von Küsnacht wich einem modernen, viergeschossigen Kubus mit Blick auf den Zürichsee. Fünf Stockwerke wären es, würde das Sonnendeck auf dem Flachdach mitgezählt. Seit drei Jahren nun nennt die vierköpfige Familie den rechteckigen Betonbau ihr Zuhause.Zu Beginn des Bauvorhabens hatte man ein Ziel: Das Grundstück soll mit der besten Sicht maximal ausgenutzt werden. Gerade die Situierung des Wohnhauses liess dem Team des Architektenbüros Andreas Fuhrimann / Gabrielle Hächler lediglich begrenzten Spielraum. Die Grenzabstände des Areals gaben Länge wie auch Breite des Hauses vor. Die Konstruktion des im Terrain eingegrabenen vierstöckigen Kubus bestimmte die hangabfallende Lage massgeblich mit. Vor allem aber die Vorgabe, die beste Sicht auf den Zürichsee zu garantieren. Zudem sollte das heutige Einfamilienhaus in unterschiedliche Wohneinheiten unterteilbar sein und über einen Lift verfügen. Der Bauherrin lag besonders der offene Wohnbereich mit angrenzender Terrasse am Herzen. Hier fällt das Wort «Lieblingsort». Der balkonartige Ausbau Richtung Sonnenseite war ihr deutlich wichtiger als ein direkter Gartenanstoss. Trotz der hohen Ausnutzung des Areals wurde eine entsprechende Grünfläche raffiniert um das Haus herum konzipiert. Während auf der Nordseite des Hauses sogar der ursprüngliche Baumbestand erhalten blieb, säumt ein farbiger Pflanzengarten, bestehend aus Rhododendrongruppen und gemischten Stauden, das Haus von der anderen Seite.

Architektonisch aussergewöhnlich

Neben der Aussicht auf den See geniesst die Bauherrin vor allem die lauen Sommerabende: «Am Sternenhimmel kann ich mich fast nicht sattsehen.» Während der Wohnbereich zuoberst von der ganzen Familie genutzt wird, sind Elternschlafzimmer, Ankleide sowie zwei Arbeitszimmer und zwei Bäder im Zwischengeschoss zu finden. Im Erdgeschoss sind die Kinder zu Hause. Dort befindet sich auch ein Fitness- und Wellnessbereich für die Familie.
Ihr behagt das Leben im architektonisch aussergewöhnlichen Neubau. Das Gesicht des Hauses ist durch vor- und zurückspringende, dunkelblau gerahmte Glasbandfenster charakterisiert. Die vertikal gewellten, vorfabrizierten Elemente aus weiss gefärbtem Sichtbeton unterbrechen die Glasfronten. Was die Architekten von Andreas Fuhrimann / Gabrielle Hächler als «reflexive Moderne» bezeichnen, bricht die ästhetische Härte der modernen Fassade auf. Während die Bauherrin mit der säulenhaften Struktur Anmutungen an einen Paravent oder einen Radiator verbindet, erinnert die Architekten die vertikale Profilierung an klassische Stützenreihen. Das milchige Weiss der Hauswand verleiht der Front den Charakter eines Kunstwerks. Zugleich vermittelt die helle Farbe eine gewisse Sanftheit, die sich über vier Kanäle ins Hausinnere übersetzt.

Holz als Rückgrat

Der im Hausinnern weiss gestrichene Sichtbeton verleiht den Räumen Weite, teilweise gar eine museale Atmosphäre. Der helle Travertinboden zieht sich durch alle vier Wohngeschosse und sogar nach draussen auf die an den Wohnbereich und die Küche grenzende Sonnenterrasse. Im Kontrast dazu steht farblich der grüne Guatemala-Verde-Marmor. Jedoch ergänzt er im Wohnbereich als Cheminée das maritime Flair. In den Badezimmern vermittelt der dunkelgrüne Stein ein umarmendes Gefühl und erinnert dabei an eine orientalische Wasserstelle. Beide Naturmaterialien erden im Zusammenspiel mit der wandhohen Bibliothek im Treppenraum zwischen dem ersten und zweiten Geschoss. Sie besteht aus ungarischem Nussbaumholz und bildet mit der Treppe aus dem gleichen Holz das Rückgrat des Einfamilienhauses. Das mit Nischen und Vitrinen durchsetzte Büchergestell ergänzt den musealen Charakter des oberen Treppenraums beinahe organisch. Dort nämlich, wo die Treppe vom zweiten in den dritten Stock führt, dienen die mehrere Meter hohen weissen Betonwände, die dank Dachluken und Oberlichtern viel Tageslicht erhalten, als Ausstellungsraum für die Kunstwerke der Hausbesitzer. Das warme braune Holz tritt in der Ankleide, im Büro und als Raumtrenner wiederholt in Erscheinung. «Wir haben wenig, dafür durchgehende Materialien», so der Bauherr. Die nach aussen vorstehenden Fensterfronten werden im Innern des Hauses zu erkerartigen Sitzbänken mit Seesicht oder zu Blumenfenstern auf der Rückseite des Hauses. «Die Fenster funktionieren wie Bilderrahmen», sagt der Bauherr. Dafür sorgt hauptsächlich der Garten, der einen lebendigen Kontrast zum kantigen Äussern des Hauses darstellt.

Der Bau als Härtetest

Lebendig beschreiben die Bauherren auch die zweijährige Planung zusammen mit den Architekten. «Wir kennen uns seit dem Gymnasium. Schön, hat sich der Eigenheimbau mit einer ehemaligen Schulkollegin realisieren lassen», sagt die Bauherrin. Wie bei jedem Hausbau gab es auch in diesem Fall Herausforderungen. «Lang waren wir uns nicht sicher beim Betonbau. Anfänglich waren uns die Ideen der Architekten zu radikal», fährt die Bauherrin fort.

Der intensivste Teil der Planung waren die Fassade und die Materialisierung des Hauses. Die Hausbesitzer bezeichnen diese Phase als «ästhetische Herausforderung». Ein Hausbau sei immer auch ein Härtetest – für das Ehepaar oder aber für die Freundschaft mit den Architekten –, ist der Hausherr überzeugt. Wie sich zeigt, haben sie beide Proben bestanden. «Schrittweise, mit Verständnis für die Bedürfnisse der anderen Partei», sagt die Bauherrin. «Mit Vertrauen in die gestalterischen Fähigkeiten der Architekten», ergänzt der Ehemann. Ein anderes Vorgehen hätten sie rückblickend kaum gewählt.

«Schön, hat sich der Hausbau mit einer ehemaligen Schulkollegin realisieren lassen.»
Die Bauherrin

Architekten-Interview

Gabrielle Hächler, wenn das Gelände der Architektur nicht viel Spielraum lässt, woher zaubern sie dann Ideen und Kreativität?
Einschränkungen sind immer Teil eines Entwurfs und sind die Herausforderung, die es zu meistern gilt. Dabei müssen Nachteile in Vorteile verwandelt werden. Alle Parameter – seien es baurechtliche, programmatische, terrainverlaufende oder topografische – müssen in ein Konzept des Hauses führen, dem man die Auflagen nicht mehr ansieht, sondern das einzig und allein als Architekturkonzept mit stimmigem Ausdruck überzeugt.

Besonders auffallend sind die hervorstehenden Bandfenster und die optisch gewellt wirkenden Betonelemente, die an einen Paravent erinnern. Wie kamen Sie darauf?
Die Paraventanalogie ist etwas weit hergeholt. Die vertikal profilierten Fassadenelemente bilden einen Kontrast zu der sonst horizontalen Schichtung des Hauses, verleihen der Fassade zusätzliche Plastizität und sorgen bei Sonnenlicht für ein attraktives Schattenspiel.

Sie bezeichnen die Fassade des Hauses als «reflexive Moderne» – was bedeutet das?
Am Beispiel der oben beschriebenen Fassadenelemente kann die reflexive Moderne gut gezeigt werden: Ihre Gliederung erinnert an eine klassische Stützenreihe, die das Haus damit in der vormodernen Bautradition verankert.

Die Fassade steht also im Kontrast zum modernen, eleganten Innenleben. Woher kommt diese Diskrepanz?
Wir finden nicht, dass das eine Diskrepanz darstellt. Das Gebäude verfügt über ein Gesamtkonzept, bei dem die Fassadengestaltung und das Innenleben ineinandergreifen. Die hervorstehenden Fenster gliedern von aussen reliefartig die Fassade, von innen rahmen sie die Aussicht zu Panoramabildern und sind gleichzeitig Sitzgelegenheiten und Ablageflächen. Das elegante Innenleben wird erheblich bereichert durch diese Nutzungsmöglichkeiten.

Welche Herausforderungen hatten Sie bei diesem Objekt zu bewältigen?
Die vertikale Erschliessung durch die steile Hanglage war die grösste Herausforderung bei diesem Projekt. Dies resultiert im spektakulären Treppenraum, der über drei Geschosse rückseitig im Terrain liegt. Kombiniert mit einem Büchergestell und Ausstellungsvitrinen über die gesamte Rückwand und den geschickt platzierten Oberlichtern wird der Treppenraum zueinem attraktiven Erlebnis.

Was ist Ihr persönliches Highlight bei diesem Bau?
Der tektonische Aufbau der Fassade, der wie eine Gesteinsschichtung im Gebirge mit Vor- und Rücksprüngen eine reliefartige Ausprägung hat, begeistert uns sehr. Diese Komplexität der Detaillierung kann selten realisiert werden und ist der architekturbegeisterten Bauherrschaft geschuldet.

TECHNISCHE ANGABEN

Harte Schale, natürlicher Kern
Situationsplan
Harte Schale, natürlicher Kern
Längsschnitt West
Harte Schale, natürlicher Kern
Aussenansicht West
Harte Schale, natürlicher Kern
Grundriss Dachsicht
Harte Schale, natürlicher Kern
Grundriss 3. Obergeschoss

[ ARCHITEKTUR ]

Andreas Fuhrimann Gabrielle Hächler Architekten | afgh.ch

[ KONSTRUKTION ]

Massivbau | Flachdach | Fassade: Sichtbeton, weiss gefärbt

[ Raumangebot ]

Nettowohnfläche: 657 m² | Anzahl Zimmer: 9

[ Ausbau ]

Boden: Travertin | Wände: Sichtbeton, weiss gestrichen | Fenster: Metall

[ Technik ]

Wasser-Luft-Wärmepumpe | Bodenheizung | Cheminée

Harte Schale, natürlicher Kern
So platziert, dass die beste Aussicht garantiert ist: Die Grenzabstände auf dem Grundstück in Küsnacht gaben Breite und Länge des Hauses an Hanglage vor.
Harte Schale, natürlicher Kern
Der Garten mit den Rhododendrongruppen und den gemischten Stauden bildet einen wilden Kontrast zur kantigen Architektur.
Harte Schale, natürlicher Kern
Die vertikal profilierten Betonelemente der Fassade brechen die vertikale Schichtung des Hauses auf und sorgen bei Sonnenschein für ein ansprechendes Schattenspiel.
Harte Schale, natürlicher Kern
Die vertikal gewellten Sichtbetonelemente zwischen den Fensterbändern brechen die Fassade auf.
Harte Schale, natürlicher Kern
Das sich auf der Hangseite befindende mehrere Meter hohe Büchergestell erstreckt sich vom Erdgeschoss bis zum ersten Obergeschoss und bildet das Rückgrat des Einfamilienhauses.
Harte Schale, natürlicher Kern
Der hohe Aufgangsbereich im ersten Obergeschoss dient der Bauherrschaft als Museum und auch als zweiter Hauseingang.
Harte Schale, natürlicher Kern
Die blauen Fensterrahmen den Ausblick wie ein Bild ein und schaffen in Verbindung mit dem Travertinboden und dem Guatemala-Verde-Marmor eine maritime Atmosphäre.
Harte Schale, natürlicher Kern
Aus einer anfänglich geschlossenen Küche wurde während des Bauprozesses eine offene Inselküche mit Aussicht auf den Zürichsee.
Harte Schale, natürlicher Kern
Auch in der Küche haben die Bauherren auf helle Farben und Naturstein gesetzt.
Harte Schale, natürlicher Kern
Die Treppe aus ungarischem Nussbaumholz führt bis in den Wohnbereich im zweiten OG.
Harte Schale, natürlicher Kern
Vom Arbeitsplatz aus geniesst die Bauherrin den direkten Blick auf die Bäume, die sich auf dem Grundstück befinden. Für eine entspannende Pause kann das breite Fensterbrett als Liegenische genutzt werden.
Harte Schale, natürlicher Kern
Postimpressionistische Kunst und moderne Werke schmücken den mehrere Meter hohen Aufgang, der an der Hangseite des Hauses liegt.
Harte Schale, natürlicher Kern
Würde das Sonnendeck mitgezählt, verfügte das Haus über insgesamt fünf Stockwerke.
Harte Schale, natürlicher Kern
Der Guatemala-Verde-Marmor kommt sowohl beim Cheminée als auch in drei der vier Badezimmer zum Einsatz.
Harte Schale, natürlicher Kern
Im Erdgeschoss haben sich die Bauherren neben einem Fitnessbereich auch eine Sauna eingerichtet.
Harte Schale, natürlicher Kern
Der dunkelgrüne Marmor sorgt für anmutende Stimmung und erinnert an eine orientalische Wasserstelle.
Harte Schale, natürlicher Kern
Gabrielle Hächler, Architektin Andreas Fuhrimann Gabrielle Hächler Architekten, Zürich. afgh.ch
Harte Schale, natürlicher Kern
Grundriss 3. Obergeschoss
Harte Schale, natürlicher Kern
Grundriss Dachsicht
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Aussenansicht West
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Längsschnitt West
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Situationsplan
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