Diskret wie ein Fuchsbau

Einen fünfhundert Jahre alten Hof durch einen modernen Anbau zu erweitern, ist keine einfache Aufgabe. Architekt Pavol Mikolajcak und Bauherr Thomas Erlacher haben sie mit Bravour gemeistert.

Diskret wie ein Fuchsbau
Text Anna Ettlin, Martina Hunglinger | Fotos Mads Mogensen
Einen fünfhundert Jahre alten Hof durch einen modernen Anbau zu erweitern, ist keine einfache Aufgabe. Architekt Pavol Mikolajcak und Bauherr Thomas Erlacher haben sie mit Bravour gemeistert.
Eine fünfhundert Jahre alte denkmalgeschützte Hofschaft zu bewohnen bringt Verantwortung mit sich. Das war Thomas Erlacher bewusst, als er 2007 den Felderhof im Südtirol erwarb. Der Paarhof aus dem 16. Jahrhundert liegt im malerischen Dörfchen Villanders und besteht aus einem Stadel mit Strohdach und einem Wohnhaus, eingedeckt mit steinbeschwerten Holzschindeln. Anstatt die historischen Gebäude gleich umzubauen, entschied sich Thomas Erlacher dafür, erst mal einzuziehen und das Leben in seinem neuen Haus einige Jahre auf sich wirken zu lassen.

Wohnen unter der Wiese

Mit der Zeit reifte der Wunsch heran, die alten Gebäude nicht modern auszubauen, sondern in ihrer ursprünglichen Form instand zu setzen. In den Stadel sollten wieder Tiere einziehen, und auch das Wohnhaus würde weiterhin ohne Heizung und andere moderne Annehmlichkeiten auskommen. Stattdessen beschloss Thomas Erlacher, den Paarhof durch eine dritte, moderne Kubatur zu erweitern, die zeitgemässen Wohnkomfort bieten würde, ohne das Erscheinungsbild des historischen Paarhofs zu stören. Immer wieder hatte der Bauherr auf der Wiese vor dem Haus gesessen und sich überlegt, wo ein solcher Bau zu stehen kommen könnte. Die Lösung erwies sich als einfach und raffiniert zugleich: Das neue Haus wurde höhlenähnlich in den Hang hineingebaut. Für die Umsetzung zog Thomas Erlacher den Bozener Architekten Pavol Mikolajcak heran. Architekt und Bauherr kannten sich bereits beruflich, da Thomas Erlacher die Tischlerei und Inneneinrichtungsfirma Erlacher führt. Da beide Begeisterung für experimentelle und nicht traditionelle Lösungen mitbrachten, entwickelten sie schnell eine kreative Zusammenarbeit, die dem Haus zu seinem endgültigen Erscheinungsbild verhalf.

«Schaut man von unten, wirkt das neue Haus wie ein Fuchsbau.»Thomas Erlacher, Bauherr

Der längliche Baukörper liegt hinter den beiden Bestandsgebäuden und schliesst direkt an das Wohngeschoss des alten Bauernhauses an. Hangseitig ist er dadurch fast komplett unter der Bergwiese verborgen. Zum Eisacktal öffnet sich das Haus mit einer grosszügigen, facettierten Glasfassade. Unregelmässige Winkel brechen mit der rechteckigen Form und verleihen dem Gebäude ein organisches Erscheinungsbild. «Wenn man das Haus von unten sieht, wirkt es wie ein Fuchsbau», sagt Thomas Erlacher.

Bauherr und Architekt wählten für das neue Haus dieselben Materialien wie für das alte, allerdings in einer modernen Ausprägung: Der Naturstein des alten Baus findet seine Entsprechung im kühlen Sichtbeton, der von der Zeit geprägte Holztäfer in der gebürsteten Eiche, welche die Innenräume des Neubaus prägt. Die Holzverkleidungen, ausgeführt von der eigenen Firma des Bauherrn, folgen präzise den unregelmässigen Winkeln der Innenarchitektur. Die polygonale Deckenform folgt dem Verlauf des Hügels, der für den Bau abgetragen wurde, und erinnert zugleich an die traditionellen Giebeldächer des alten Paarhofs.

Tageslicht ist im in den Hang hinein gebauten Haus alles andere als rar. Neben der grossen Fensterfront verfügt es über zwei Oberlichter, die bündig in der Wiese liegen und die Abendsonne tief in die Räume strahlen lassen. Um Sichtschutz muss sich Thomas Erlacher keine Sorgen machen: Auf der abgelegenen Hofschaft am Hang ist er vor fremden Blicken sicher. Höchstens seine Tiere beobachten den Hausbewohner, denn der Hof dient mittlerweile nicht nur ihm selbst als Zuhause, sondern auch einigen Kühen, Schafen, Hühnern, Ziegen, Eseln und einem Pferd. Durch die Fenster kann Thomas Erlacher die Tiere von seinem Wohnzimmer aus beobachten. «Als das grosse Oberlicht beim Bau noch mit Brettern abgedeckt war, stürzte einer der Esel mit den Hinterbeinen hindurch», erinnert sich Thomas Erlacher. «Seine Hufe hingen direkt über der Kücheninsel!» Der Bauherr, ein erfahrener Bergretter, konnte dem Tier selber aus der Patsche helfen. Heute, mit der festen Verglasung, ist das grosse Oberlicht durchsturzsicher, und die Kücheninsel mit ihrer weissen Corian-Abdeckung muss sich nicht vor Eselshufen fürchten. Die dezent polygonale Form der Insel wurde vom Architekten entworfen und von der Tischlerei des Bauherrn ausgeführt, genauso wie zahlreiche eingebaute Schränke und Stauräume, dank denen das Interieur aufgeräumt und zurückhaltend wirkt.

Schnittpunkt

Die Wohnräume des 200 Quadratmeter grossen Hauses sind auf einer Ebene angeordnet. Vom offenen Wohn- und Essbereich samt Küche gelangt man durch die Schiebefenster auf eine weitläufige Terrasse, auf der Thomas Erlacher die atemberaubende Aussicht auf die Dolomiten geniessen kann. Tagsüber spiegelt die von Beton gerahmte Glasfassade die umliegenden Berge, Wiesen und Wälder und lässt das Haus mit der Landschaft verschmelzen. Abends, wenn im Gebäudeinnern das Licht brennt, wirkt es wie ein grosses Auge, das in die Ferne schaut.

«Der Bauherr legte beim neuen wie beim alten Haus wert auf Details.»Pavol Mikolajcak, Architekt

Ein schmaler Gang führt aus dem Wohnbereich zu den Schlafzimmern. Das Gästezimmer mit zwei Betten und das halb offene Schlafzimmer des Bauherrn am Ende des Ganges öffnen sich beide ebenfalls zur Terrasse. Das Gästezimmer verfügt über ein eigenes Badezimmer en suite, das Masterbad liegt hangseitig neben einer grossen Ankleide. Unter dem Haupthaus, komplett im Hang verborgen, erstreckt sich ein grosses Untergeschoss, das eine geräumige Garage sowie Technik- und Kellerräume beherbergt. Ein imposantes Treppenhaus, das zwischen dem neuen und dem alten Haus liegt, verbindet nicht nur die Geschosse, sondern auch die Gebäude. Die elegante Treppe steht vor einer Natursteinmauer, die noch zum alten Haus gehört: Der Schnittpunkt zwischen der historischen und der neuen Bausubstanz, wo Altholz und Stein auf Sichtbeton und Schwarzstahl treffen. Der Haupteingang zum neuen Wohnhaus liegt nämlich immer noch im alten: Thomas Erlachers Gäste müssen an der Tür des Bauernhauses läuten, um in den modernen Bau zu gelangen. «So ehre ich das alte Gebäude», sagt der Bauherr, der das historische Bauernhaus zudem nutzt, um traditionelle Abende mit seinen Gästen zu veranstalten.

«Die Erweiterung des Felderhofs veranschaulicht, wie historische Bestandsgebäude um eine moderne Wohnkomponente ergänzt werden können, ohne dabei ihren ursprünglichen Charakter zu stören», sagt Architekt Pavol Mikolajcak. «Thomas legte sowohl beim alten als auch beim neuen Haus wert auf die Details und nahm sich viel Zeit, die genaue Form des Gebäudes zu bestimmen.» So entstand im Ensemble des Paarhofs ein dritter Bau, der das historische Gleichgewicht nicht stört – und sogar die Anfang skeptischen Stimmen aus dem Dorf besänftigen konnte.

Architekten-Interview

Pavol Mikolajcak, wie reagierten die Nachbarn auf das Bauprojekt ?

Die Reaktionen des Dorfes waren zuerst eher negativ. Weder die Baukommission noch die Dorfbewohner waren einer neuartigen Architektur gegenüber aufgeschlossen. Nach der Fertigstellung wechselte die Meinung aufgrund der unauffälligen Erscheinung und der gelungenen Verbindung zwischen Alt und Neu ins Positive.

Warum fallen erste Reaktionen auf moderne Architektur so oft negativ aus ?

Die Menschen sind skeptisch, wenn es um Veränderungen geht. Sie befürchten, sie könnten dadurch in ihrer gewohnten, «gemütlichen» Lebensweise eingeschränkt werden. Das kann zwar in ganz seltenen Fällen passieren, Veränderungen sind aber meist unumgänglich. Finden sie bedacht statt, bringen sie mehr Vorteile als Nachteile.

Wie bringt man Alt und Neu zusammen ?

Zu diesem Thema hatten wir eine interessante Diskussion mit dem Denkmalamt, welches das Projekt am Anfang abgelehnt hat. Sie wollten lieber ein drittes Volumen mit ähnlichen Proportionen und einem Satteldach. Ein Umdenken fand erst statt, als wir die Frage stellten: «Wie hätten Menschen vor Hunderten von Jahren gehandelt?» Die Antwort lautet: Sie hätten etwas gebaut, das dem neuesten Stand der Baukunst und ihren Bedürfnissen am ehesten entsprochen hätte. So sollten wir es auch heute machen.

Warum nicht einfach im alten Stil bauen ?

Man kann ein altes Gebäude nicht neu bauen, das wäre eine Täuschung. Es wäre traurig, wenn wir uns auf Imitationen beschränken würden, anstatt unsere Architektur auf demselben hohen Niveau zu verwirklichen wie unsere Vorfahren. Moderne Architektur gut umzusetzen ist nicht einfach. Sie muss schlicht, zweckmässig und hochwertig sein, aber nicht zu banal. Modern muss nicht kühl und ideenlos heissen.

Was würden Sie jemandem empfehlen, der einen Architekten für sein Haus sucht ?

Ein Haus zu planen ist keine unpersönliche Dienstleistung. Der Architekt spielt eine Schlüsselrolle, also lohnt es sich, Zeit in die Suche zu investieren. Ich empfehle Bauherren, sich zuerst selbst mit zeitgenössischer Architektur auseinander zu setzen. So findet man heraus, welche Erwartungen man hat. In einer zweiten Phase sollten sie ein paar «Vorstellungsgespräche» führen, damit sie sehen, ob neben dem Architektonischen auch das Zwischenmenschliche stimmt.

TECHNISCHE ANGABEN

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Diskret wie ein Fuchsbau
Situationsplan
Diskret wie ein Fuchsbau
Querschnitt
Diskret wie ein Fuchsbau
Untergeschoss
Diskret wie ein Fuchsbau
Erdgeschoss

[ ARCHITEKTUR ]

Pavol Mikolajcak | Bozen (IT) | mikolajcak.com

[ KONSTRUKTION ]

Massivbau | Fassade: Sichtbeton, Glas

[ Raumangebot ]

Wohnfläche: 200 m² | Anzahl Zimmer: 3,5

[ Ausbau ]

Boden: Parkett Eiche, fugenloser Belag in den Badezimmern | Wände: Holztäfer, Sichtbeton

[ Technik ]

Fussbodenheizung

Diskret wie ein Fuchsbau
Das Treppenhaus ist der Schnittpunkt zwischen Alt und Neu. Die Mauer gehört zum alten Bauernhaus.
Diskret wie ein Fuchsbau
Die Kücheninsel liegt direkt unter dem grossen Oberlicht, durch das abends die Sonne scheint.
Diskret wie ein Fuchsbau
Hinter den Eichenpaneelen im Wohnzimmer verbergen sich eine Bar, ein Fernseher und Stauraum.
Diskret wie ein Fuchsbau
Der polygonale Küchenblock mit Corian-Abdeckung wurde vom Architekten entworfen und von Thomas Erlachers eigener Firma präzise hergestellt.
Diskret wie ein Fuchsbau
Aus dem Wohn- und Essbereich führt ein schmaler Gang zu den zwei Schlafzimmern.
Diskret wie ein Fuchsbau
Die elegante Ablage zwischen Badezimmer und Schlafzimmer hat der Bauherr selbst entworfen.
Diskret wie ein Fuchsbau
Das Masterbad wurde in ruhigem Grau und Weiss gehalten. Ein türkischer Kelim am Boden bringt einen Farbtupfer hinein.
Diskret wie ein Fuchsbau
Alt und Neu in Harmonie: Der Neubau steht dezent hinter dem 500 Jahre alten Paarhof. Foto: Oscar da Riz. Durch die grossen Schiebefenster gelangt der Bauherr auf die Terrasse, die einen Weitblick über das Eisacktal zu den Gipfeln der Dolomiten ermöglicht.
Diskret wie ein Fuchsbau
Der Neubau integriert sich diskret ins Ensemble des historischen Paarhofs: Meist ist er kaum sichtbar.
Diskret wie ein Fuchsbau
Bis auf das gläserne Oberlicht in der Wiese, durch das gelegentlich die Tiere des Bauherrn hineinblicken, ist der «Fuchsbau» hangseitig fast komplett im Gelände verborgen.
Diskret wie ein Fuchsbau
Auch aus dem Schlafzimmer geniesst Thomas Erlacher die Aussicht auf das Bergpanorama.
Diskret wie ein Fuchsbau
Diskret wie ein Fuchsbau
Pavol Mikolajcak, Architekt
Diskret wie ein Fuchsbau
Erdgeschoss
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Untergeschoss
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Querschnitt
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Situationsplan
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