Bionisches Raumschiff

Mag sein, dass dieses Objekt Assoziationen an ein Ufo weckt, doch der Architekt Ivan Redi ging von einer organischen Form aus, als er den ersten Entwurf für dieses Zweipersonenhaus in Graz zeichnete.

Bionisches Raumschiff
LED-Streifen betonen die Form des Hauses und geben ihm einen schwebenden Charakter, was die gestalterische Handschrift des Architekturbüros Ortlos ist. Ortlos bedeutet, nicht an einen Ort gebunden zu sein.
Text Donika Gjeloshi | Fotos paul ott photografiert
Mag sein, dass dieses Objekt Assoziationen an ein Ufo weckt, doch der Architekt Ivan Redi ging von einer organischen Form aus, als er den ersten Entwurf für dieses Zweipersonenhaus in Graz zeichnete.
Auf einer grossen Wiese in unmittelbarer Nähe zum Wald und unverbaubarer Aussicht auf die Stadt Graz steht dieses futuristisch anmutende Wohnhaus – entworfen von den Architekten Ivan Redi und Andrea Redi und ihrem Team von Ortlos Space Engineering für das befreundete Ehepaar Karl und Sandra Nedwed. «Nein, die Idee geht nicht von einem Raumschiff aus», lacht Ivan Redi. Er habe an eine Muschel gedacht, die sich in der Landschaft festgemacht habe. Doch es ist nicht nur die Idee der Muschel, es sind noch viel weitere Faktoren wie das Thema Energie, die spezielle Grundstücksituation und die Lage mit ihrer Aussicht, die zu dieser Form führten. Darüber hinaus wollte Ivan Redi einen modernen Baukörper schaffen, der architektonisch in das 21. Jahrhundert passt.«Es war so ziemlich die komplizierteste Ausgangslage, die man sich vorstellen kann, was das Grundstück betrifft», berichtet der Architekt und erklärt, «das Grundstück ist sehr klein, schmal, liegt auf einem Hügel und ist mit Blick nach Norden ausgerichtet.» Weil Bauland in Graz schwer zu finden und noch dazu sehr teuer ist, beschlossen die Bauherren, Geld beim Kauf des Grundstücks zu sparen und dafür etwas mehr in eine hochwertige Architektur zu investieren. Bei der Gestaltung liessen sie ihrem Freund und Architekten freie Hand. Wichtig war dem Ehepaar einerseits das Thema Energie, andererseits ausreichend Platz für das Büro des Bauherrn, die Physiotherapie-Praxis der Bauherrin sowie Stauraum für das Sport-Equipment des aktiven Ehepaars.

Bionisches Gestaltungsprinzip

«Die Form des Baukörpers entwickelte sich aus den performativen Aspekten des Design-Prozesses», erklärt Ivan Redi. Er adaptierte das sogenannte bionische Gestaltungsprinzip an die Architektur. Das bedeutet, dass er Konstruktionen und Funktionsweisen aus der Biologie, wie beispielsweise die Form der Muschel oder die Nutzung der Sonnenenergie, auf das Design des Baukörpers übertrug. Es ging ihm dabei insbesondere um formale und funktionale Optimierung. «Wie in der Natur gibt es auch beim Bau eines Einfamilienhauses unglaublich viele Elemente, die wie ein Netzwerk zusammenhängen», erklärt Ivan Redi. Die Idee sei also, höchst Komplexes einfach zu gestalten, zu reduzieren, bis das Wesentliche übrig bleibt. Konkret bedeutet dies, aus dem kleinen Grundstück das Maximum an Wohnfläche herauszuholen, trotz Nordausrichtung das Sonnenlicht, aber auch die Sonnenenergie optimal zu nutzen, die Hanglage als Chance zu sehen, um die schöne Aussicht noch mehr zu betonen und dem massiven Baukörper Leichtigkeit zu verleihen. So fügt sich der Bau harmonisch in die Landschaft ein und öffnet sich wie eine Muschel, wobei die Öffnung auf der Nordseite die 70 Quadratmeter grosse von Wind und Witterung geschützte Terrasse mit hervorragendem Weitblick und auf der Südseite den überdachten Einstellplatz darstellt. Die Form bietet auch ein ideales Verhältnis von Oberfläche und Volumen, wodurch der Wärmeverlust minimiert wird. Die Geometrie ist darüber hinaus aerodynamisch, um von der Luftströmung besser zu profitieren.

Aktivhaus – mehr als energieeffizient

In der Entwurfsphase wandte der Architekt die Methode der detaillierten Computersimulation, das «Building Information Modeling» an. Auf diese Weise konnte er alle Elemente berücksichtigen und optimal aufeinander abstimmen. Darunter fällt u. a. die Bemessung und Optimierung der Energieeffizienz. Das Ziel war, den Standard eines Passivhauses zu erreichen, ohne jedoch die Bewohner in der Nutzung ihres Hauses einzuschränken. «Ein Passivhaus ist quasi ein rechnerischer Wert. Die Bewohner müssen diszipliniert sein und dürfen, salopp gesagt, die Fenster im Winter nicht öffnen, um die Energiebilanz nicht durcheinander zu bringen», sagt Ivan Redi. Aus diesem Grund konzipierte er dieses Haus als Aktivhaus, da der Wert eines Passivhauses selbst dann erreicht wird, wenn sich die Bewohner ihrem aktiven Lebensstil ohne Einschränkungen widmen. Dies ist unter anderem möglich, weil bei der Planung auch der Sonnenstand zu den verschiedenen Jahreszeiten berücksichtigt wurde. So wird im Winter die Solarenergiegewinnung maximiert, und im Sommer kann die Erhitzung mittels der Überdachung auf ein Minimum reduziert werden. Eine entscheidende Rolle bei der Nutzung der Sonnenenergie spielt auch die Verwendung von Beton, der in der Mitte des Raumes als tragendes Element fungiert. Die in diesem Betonelement tagsüber gespeicherte Energie wird nachts in den Raum abgegeben, sodass ein angenehmes Raumklima entsteht. Weiter hat der Architekt bewusst darauf geachtet, dass möglichst viel Tageslicht die Räume durchflutet, damit die Bewohner tagsüber trotz der Nordausrichtung keine künstlichen Lichtquellen benötigen.

Auch was das Raumkonzept betrifft, kam der Architekt zum bestmöglichen Ergebnis. Das Augenmerk richtete er dabei auf eine funktionale Organisation. So befinden sich die Arbeitsräume der Bauherrschaft im obersten Geschoss, wo auch die Patienten der Bauherrin Zutritt haben. Im darunter liegenden Stockwerk liegen die Küche sowie der Ess- und Wohnbereich mit Terrasse, wo auch Gäste willkommen sind. Schliesslich sind auf dieser Ebene zur Hangseite mit Schlafzimmer und Badezimmer die Privaträume untergebracht.

Zu gewagt für die Schweiz?

Die futuristisch anmutende Architektur ist nun nachvollziehbar. Und auch die Bauherrschaft ist sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Doch würde dieser Stil auch in der Schweiz funktionieren? «Dieses Haus entspricht nicht der typischen Einfachheit der Schweizer Architektur, die von rechteckigen Kuben geprägt ist. Ich denke, in der Schweiz würde es noch mehr mutige Architektur vertragen. So gesehen könnte man dieses Haus als Antithese zu der in der Schweiz gewohnten Bauweise betrachten», erläutert Ivan Redi sein Empfinden.

«Architektur und Räume sollen uns nicht einschränken, sondern befreien.»
Ivan Redi, Architekt

TECHNISCHE ANGABEN

Bionisches Raumschiff
Obergeschoss
Bionisches Raumschiff
Erdgeschoss

[ ARCHITEKTUR ]

Ortlos Space Engineering | Ivan Redi und Andrea Redi | ortlos.com

[ KONSTRUKTION ]

Massivbau, Sichtbeton, Mauerwerk | Fassade: Eternit, doppelschalig, mineralischer Putz

[ Raumangebot ]

Grundstück: 770 m² | Nettowohnfläche: 173 m² | Anzahl Zimmer: 4

[ Ausbau ]

Boden: Parkett, Platten, Naturstein, Sicht-Estrich | Wandbeläge: Putz | Fenster: 3-fach-Verglasung Alu, Glasoberlichter, Glasfront mit Fixverglasung und Schiebetüren

[ Technik ]

Aktiv-Haus | Betonkern-Aktivierung | Erdwärme | Photovoltaik-Paneele | Fussbodenheizung | BUS-System, intelligente Haussteuerung

Bionisches Raumschiff
Die 70 m² grosse, überdachte Terrasse schenkt den Bewohnern Geborgenheit und bietet einen schönen Weitblick auf die Stadt Graz.
Bionisches Raumschiff
Die Physiotherapie-Praxis befindet sich im obersten Geschoss. Auch hier gibt es eine Terrasse mit schönem Ausblick.
Bionisches Raumschiff
Die Betonmasse fasst die Treppe ein. Sie ist ein statisch wichtiges Element und technisch sinnvoll, da sie die Wärme speichert.
Bionisches Raumschiff
Die Betonmasse ist auch Stilmittel, sie hat etwas Skulpturales an sich. Ausserdem lenkt sie das Tageslicht, das vom Oberlicht eingefangen wird, in die Wohnräume.
Bionisches Raumschiff
Die Öffnung zur Strassenseite hin bildet den überdachten Einstellplatz. Seitlich von den Eingangstüren sind Abstellräume angesiedelt.
Bionisches Raumschiff
Erdgeschoss
Bionisches Raumschiff
Obergeschoss
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