Der gebaute Geist des Ortes

Dieses Eigenheim könnte nirgendwo anders stehen: Die Bozener Architekten Lukas Rungger und Stefan Rier verankerten das besondere Doppeleinfamilienhaus durch Architektur, Materialwahl, Handwerk und Einrichtung fest im Südtirol.

Der gebaute Geist des Ortes
Text Martina Hunglinger, Anna Ettlin | Fotos Mads Mogensen
Dieses Eigenheim könnte nirgendwo anders stehen: Die Bozener Architekten Lukas Rungger und Stefan Rier verankerten das besondere Doppeleinfamilienhaus durch Architektur, Materialwahl, Handwerk und Einrichtung fest im Südtirol.
Hoch in den Alpen Norditaliens steht ein einmaliges Schindelhaus, welches die Südtiroler Architekten Lukas Rungger und Stefan Rier von noa* – network of architecture für zwei Brüder errichteten. Das Grundstück, gelegen am Rande des Dörfchens Oberbozen auf dem Hochplateau des Ritten, liegt an der Stelle eines alten Steinbruchs und überblickt die Dolomiten. Etwas weiter unten sind die steilen Hänge von Weinbergen bedeckt, die durch steinerne Stützmauern unterbrochen werden. Diese Kulturlandschaft diente den Architekten als Ausgangspunkt für die Gestaltung des Hauses. Geprägt von ihrer vielseitigen und internationalen Arbeit in Mailand, New York, Berlin, Ferrara und Graz, setzen Lukas Rungger und Stefan Rier auf holistisches, interdisziplinäres Design, welches sich mit den Ansprüchen und Eigenheiten jedes Projekts stetig weiterentwickelt. «Bei diesem Projekt wollten wir moderne Architektur so harmonisch wie möglich in die Umgebung einbetten», erklärt Lukas Rungger. «So unterstützen wir zugleich die traditionellen Bauweisen der Region und schaffen eine Verbindung mit der Landschaft, sodass das Hausinnere mit der Natur verschmilzt.»

Handwerkskunst und Tradition

Das Objekt in Oberbozen besteht aus zwei beinahe identischen Häusern mit Satteldach, die über einen gemeinsamen Teil miteinander verbunden sind. So erhält jeder der beiden Brüder seine Privatsphäre. Die Hanglage bedingt, dass eines der Häuser etwas tiefer liegt, als das andere. Die Steinmauern, welche die Weinberge prägen, finden sich in der Architektur wieder: Sie stützen den unteren der beiden Baukörper. Auch die Fassade der beiden Häuser ist eine Hommage an die regionalen Materialien: Holzschindeln bilden den Grossteil der Gebäudehülle. «Obwohl die Schindelfassade traditionell eher in Österreich beheimatet und schwierig zu verarbeiten ist, wussten wir, dass sie zu diesem einmaligen Projekt passen würde», sagt Stefan Rier. Stellenweise weicht das Holz schwarzen Metallplatten, die durch ihre spezielle Faltung ein Spiel von Licht und Schatten kreieren.

Der Teil, der die beiden Baukörper verbindet, dient als gemeinsamer Stauraum. Ansonsten sind die Häuser autonom und lassen die zwei Familien, die darin leben, im Alltag getrennter Wege gehen. In den untersten Geschossen, die im Hang verschwinden, liegen die Bade- und Schlafzimmer: jeweils ein Elternschlafzimmer mit Bad und Ankleide en suite sowie drei Kinderzimmer und ein Kinderbad. Kleiner gehaltene Fensteröffnungen schaffen die nötige Privatsphäre. Auf derselben Ebene befinden sich zwei grosse Garagen mit separaten Einfahrten. Wer vom untersten Stockwerk des jeweiligen Hauses die Treppe hinaufsteigt, gelangt zu Küche und zum Essbereich, die als einziger offener Raum konzipiert sind. Nur das als Raum-im-Raum gestaltete Gäste-WC unterbricht den offenen Grundriss. Grosszügig verglaste Frontfassaden öffnen diese Bereiche zum Bergpanorama und gewähren den Bewohnern Zugang zum gemeinsamen Garten. In den obersten Stockwerken der Häuser, direkt unter dem Satteldach, liegen schliesslich die Wohnzimmer, welche sich ebenfalls über die verglasten Frontfassaden zur Landschaft hin öffnen. Dieser Bereich dient der Entspannung und Erholung, ob mit einem guten Buch oder vor dem Fernseher. «Das Ergebnis ist ein vertikales Konzept, das drei Welten unter einem Dach vereint: die Höhle, das Feld und die Wolke», sagt Lukas Rungger. «Die gemütlichen, geschlossenen Schlafräume entsprechen der Höhle, der offene Koch- und Essbereich mit Zugang zum Garten ist das Feld, und der oberste Teil, das Wohnzimmer, ist die Wolke.» Um den schwebenden Eindruck der «Wolke» zu verstärken, wurde der Boden des Dachgeschosses von der Decke abgehängt und kommt ohne Stützpfeiler aus – eine statische Herausforderung, der die Architekten aber gewachsen waren. Auch die elegante Metalltreppe erhält durch das Harfengeländer, mit dem sie befestigt wurde, eine schwebende Anmut. Die transparente Struktur des Geländers aus dünnen Metallstäben lässt das Licht durch und wirkt zugleich wie ein dekorativer Blickfang.

Entspannte Gestaltung

Natürliche Materialien und eine minimalistische Einrichtung verleihen dem Interieur eine entspannte Atmosphäre. An den Wänden kam regional produzierter Lehmputz zum Einsatz, der dank seiner Dicke nicht nur wärmeisolierend wirkt, sondern auch die Luftfeuchtigkeit reguliert. Sein erdiger Farbton vermittelt Wärme und harmoniert mit dem hellen Parkettboden. Die zurückhaltende und stimmige Inneneinrichtung unterstützt die wohnliche Atmosphäre mit einer Mischung aus Designerobjekten, Vintage-Möbeln und Familienerbstücken. Ruhige Farben und warme, natürliche Materialien wie Wolle, Leinen, Holz und Kork schaffen ein warmes, relaxtes Ambiente – genau das, was die jungen Hausbewohner brauchen, um sich nach dem anstrengenden Arbeitsalltag zu erholen. Für ein wohliges Raumklima sorgt eine Erdwärmepumpe mit Boden- und Deckenheizung. Im Sommer können die grossen Schiebefenster im Koch- und Essbereich geöffnet werden, sodass das Interieur mit dem Aussenraum verschmilzt und eine natürliche Belüftung der Räume stattfindet.

Das durchdachte Bauprojekt ermöglichte es den jungen Architekten, über das Alltägliche hinauszugehen. Sowohl das freihängende Dachgeschoss als auch die Schindelfassade forderten Planer und Handwerker heraus. «Es war schön, das Vertrauen der Bauherrschaft in uns und in die Materialien zu haben», sagt Lukas Rungger. «Vor allem die Holzschindeln sind eine Herausforderung: Mit der Zeit verfärben sie sich an der Nordfassade gräulich, an der Südfassade rotbraun.» Das Vertrauen hat sich ausbezahlt – das neue Zuhause ist nicht nur ein Zufluchtsort für beide Familien, sondern wurde auch für etliche Architekturpreise nominiert.

«Es war schön, das Vertrauen der Bauherrschaft zu haben.»Lukas Rungger

TECHNISCHE ANGABEN

Der gebaute Geist des Ortes
Westansicht
Der gebaute Geist des Ortes
Erdgeschoss
Der gebaute Geist des Ortes
Untergeschoss
Der gebaute Geist des Ortes
Ostansicht
Der gebaute Geist des Ortes
Dachgeschoss / 1. Obergeschoss

[ ARCHITEKTUR ]

Stefan Rier, Lukas Rungger |

noa* – network of architecture | www.noa.network

[ KONSTRUKTION ]

Untere Gebäudeteile Massivbau, obere Gebäudeteile Holzbau | Satteldach mit Holzschindeln | Fassade: Holzschindeln, Metall, Natursteinmauer | Innenisolation durch Lehmputz

[ Raumangebot ]

Nettowohnfläche: 216 m² unteres Haus, 269 m² oberes Haus | Anzahl Zimmer: 6 je Haus

[ Ausbau ]

Boden: Parkett, Naturstein | Fenster: Holz-Metall | Wände: isolierender Lehmputz

[ Technik ]

Sole-Wasser-Wärmepumpe | Decken- und Bodenheizung

Der gebaute Geist des Ortes
Die zwei Baukörper mit Satteldach liegen etwas versetzt angeordnet und folgen der natürlichen Topografie des Grundstücks.
Der gebaute Geist des Ortes
Durch das Fenster in der Küche ist der schmale Verbindungstrakt zwischen den Häusern zu sehen, der mit schwarzen Metallplatten verkleidet wurde.
Der gebaute Geist des Ortes
Eine kleine Sitzecke und das als Raum im Raum konstruierte Gäste-WC befinden sich auf demselben Stock wie die offene Küche mit Essbereich.
Der gebaute Geist des Ortes
Der Essbereich und die anthrazitfarbene Küche halten sich dank ihrer minimalistischen Einrichtung optisch zurück. Die Hauptrolle übernimmt die Aussicht auf die Dolomiten, die dank der grosszügigen Fenster bestmöglich zur Geltung kommt,
Der gebaute Geist des Ortes
Das Wohnzimmer im Dachgeschoss ist ein ruhiger, heller Rückzugsort mit mehreren Sitzbereichen.
Der gebaute Geist des Ortes
Schlichte Möbel und natürliche Materialien verleihen dem Wohnzimmer entspannte Gemütlichkeit. Das gesamte Dachgeschoss wurde in einem statischen Kunstgriff von der Decke abgehängt, sodass der Essbereich darunter nicht von Pfeilern unterbrochen wird.
Der gebaute Geist des Ortes
Dachgeschoss / 1. Obergeschoss
Der gebaute Geist des Ortes
Ostansicht
Der gebaute Geist des Ortes
Untergeschoss
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Erdgeschoss
Der gebaute Geist des Ortes
Westansicht
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