«Es muss ja nicht überall knallen»

Mit Farben sind viele überfordert, und manch einer entscheidet sich dann doch für weisse Wände und ein unauffälliges Interieur. Innenarchitekt Markus Kirchhofer erklärt, was ein Farbkonzept umfasst, und macht Mut, sich auf kreative Ideen einzulassen.

Braun und Blau geben bei dieser Skizze den Ton an
Braun und Blau geben bei dieser Skizze den Ton an. Die Naturfarben verbinden die Küche mit dem Wohnbereich, und die Garderobe dient als Trennwand zwischen Küche und Eingangstür.
Interview Donika Gjeloshi | Fotos Bel Etage AG
Mit Farben sind viele überfordert, und manch einer entscheidet sich dann doch für weisse Wände und ein unauffälliges Interieur. Innenarchitekt Markus Kirchhofer erklärt, was ein Farbkonzept umfasst, und macht Mut, sich auf kreative Ideen einzulassen.
Stellen wir uns den neu zu gestaltenden Raum als Ausmalbild vor. Was raten Sie, zuerst auszumalen, und wie suchen Sie die weiteren Farben aus?
Ich persönlich suche mir viele bunte, weiche Farbstifte aus, mit denen ich problemlos übermalen, wieder ausradieren, ergänzen, verwischen und verändern kann. Was zuerst ausgemalt wird, ist von Projekt zu Projekt verschieden. Dafür gibt es kein allgemeingültiges Schema. Ein Farbkonzept ist ein Prozess, der je nach Komplexität mehrere Tage dauern kann. Es hilft also auch, ein «Ausmalbild» ein paar Tage ruhen zu lassen und dann nochmals daran zu arbeiten. Grundsätzlich soll das Farbkonzept nicht isoliert betrachtet werden. Es hängt immer von verschiedenen Komponenten ab, vom Charakter oder vom Wesen des Menschen bis zum Budget.Gestaltung ist Geschmackssache. Doch was macht ein harmonisches Farbkonzept aus?
Ein Farbkonzept darf aus meiner Sicht nicht willkürlich sein. Es braucht einen roten Faden, und dieser spinnt sich aus diversen Faktoren wie den Materialien und ihren Texturen oder den Lichtverhältnissen im Raum. Das Verhältnis von künstlichem zu natürlichem Licht spielt eine zentrale Rolle, ebenso wie die Dauer der Besonnung und die Intensität. Gibt es viel Sonne, viel Nebel oder viel Regen? Und natürlich hat der Mensch, der die Räume bewohnt, Einfluss auf das Farbkonzept. Ist er jung oder alt, hat er ein Handicap oder nicht? Wenn alle möglichen Faktoren berücksichtigt werden, bekommt das Farbkonzept Tiefe. Der Faktor «Geschmackssache» ist dann nicht mehr der einzige Punkt.

Wie gehen Sie bei der Erstellung eines Farbkonzepts vor?
Die meisten Projekte beginnen mit einer leeren Pinnwand. Auf diese hänge ich dann laufend Eindrücke und Ideen. Das können Bilder, Farben oder auch Wörter sein, bei denen ich das Gefühl habe, dass sie etwas mit dem Kunden und seiner Umgebung zu tun haben. Es kann sein, dass ich einen Eindruck wieder verwerfe oder etwas Neues hinzukommt. Nach etwa drei Tagen entwickelt sich ein erstes Bauchgefühl, eine Spur, die mir zeigt, in welche Richtung es gehen soll. Ein Moodboard für eine Person, die gern in der Natur ist und einen grossen Garten mit Bäumen besitzt, wird dann ganz anders ausschauen als eine Pinnwand für beispielsweise einen Nerd, der viel drinnen ist.

Inwiefern geben die Materialien den Ton beim Farbkonzept an? Oder geben eher die Farben Anstoss für die Wahl des Materials?
Was war zuerst, das Huhn oder das Ei? Hier haben wir als Innenarchitekten sicher einen grossen Vorteil. Schon sehr früh können wir uns das Endprodukt vorstellen, sind im Umgang mit Farben und Formen mutig und bringen grosse Erfahrung mit. Ansonsten gibt es technische Hilfsmittel, um das Endprodukt fotorealistisch darzustellen.

Welche Farben haben welche Wirkung?
Sie kennen die Geschichte, dass das rote Tuch den Stier aggressiv macht? Es gibt aber auch die These, dass die Bewegung des Tuchs den Stier wild macht. Viele Farben, viele Meinungen. Manchmal ist es hilfreich, diese sogenannten Wirkungen von Farben nicht allzu ernst zu nehmen. Ich habe persönlich schon extreme Experimente mit sehr farbigen Küchen, dunklen Räumen und knalligen Tapeten gemacht. Es ist immer eine Frage der Kombination.

Wie gehen Sie bei der Erstellung eines Farbkonzepts für ein Einfamilienhaus vor, für das Ihnen die Bauherrschaft freie Hand lässt?
Drei Schritte nach vorn, um am Schluss einen Schritt weiter zu sein als erwartet. Ich versuche, möglichst viele Ideen auszuloten, mit Farben und Materialien zu provozieren und Grenzen zu brechen, um schliesslich herauszufinden, was der Bauherrschaft Spass machen könnte. Denn nebst vielen sachlichen und putztechnischen Aspekten gibt es noch die Freude und die Zufriedenheit.

Wie lassen Sie dabei dennoch die Persönlichkeit der Bewohner einfliessen?
Ganz einfach durch Beobachten. Kleider, Schmuck, Nagellack und Accessoires können Hinweise dazu geben. Allgemein kann der Style einer Person sehr inspirierend sein.

Wird das Haus von mehr als einer Person bewohnt, kommen natürlicherweise unterschiedliche Geschmäcke zusammen.
Es muss ja nicht überall knallen. Es darf in einem Haus auch ruhige Zonen geben, das heisst aber nicht, dass diese weniger interessant sein müssen. Beispielsweise kann es einen Bereich geben, in dem ein Stuhl im Zentrum steht und von einer Leuchte, einem Vorhang, einem Bild oder einem Teppich in Szene gesetzt wird.

Wie gehen Sie bei der Farbwahl für private Räume wie das Schlafzimmer vor?
Ich persönlich kenne keinen Grund, ein Schlafzimmer anders anzugehen als einen Wohnraum. Ich verstehe, dass mit dem Schlafzimmer sanfte Farben in Verbindung gebracht werden, objektiv gibt es aber keinen Anlass dafür. Sehen Sie nur all die coolen Hotelzimmer, die auf der ganzen Welt gebaut werden. Im Gesamtbild sind das Kunstwerke. Farben, Materialien, Licht und Schatten, Grafiken, Oberflächen, all das fliesst heute ineinander. Bei Kinderzimmern besteht die Herausforderung, dass gewünschte Sujets aufgrund der Entwicklung nach kurzer Zeit nicht mehr aktuell sind. Da hilft es zum Beispiel, die Tapete auf einen Wandbereich zu beschränken und mit Accessoires zu spielen, mit denen sich einfach neue Themen umsetzen lassen.

Welche Fehler sollte man vermeiden?
Fehler gibt es eigentlich nicht. Aber was mir immer wieder auffällt, ist, wie viele Menschen Respekt vor Farben haben, speziell vor ungewohnten Farb- und Materialkombinationen. Warum muss immer alles weiss, im besten Fall beige gestrichen werden? Schauen Sie sich eine blühende Wiese im Frühling an. An Farben, Formen und Oberflächen nicht zu übertreffen. Man nehme also etwas Frühlingswiese, eine Prise Mut und eine gute Portion Vertrauen, und schon entstehen die schönsten Farb- und Materialkonzepte.

Die Trends beim Wohnen werden schnelllebiger. Was, wenn einem die mutige Gestaltung doch zu bunt wird?
Je fundierter ein Konzept ist – das geht weit über Farben hinaus und reicht bis zur Raumakustik und bis zur Kunst –, desto weniger ist es einer Schnelllebigkeit unterworfen. Aus meiner Erfahrung haben auch ganz gewagte Farbkonzepte lange Bestand. Die Qualität trägt sicherlich wesentlich dazu bei, denn erlesene Materialien sind wie ein wertvolles Schmuckstück. Wenn man sich so etwas Kostbares gönnt, wird man es mit Bedacht wählen. Ist die Farbwahl respektive die Gestaltung eines Raums willkürlich, besteht eher die Gefahr, dass sie einem schnell verleidet.

Gibt es etwas, das Sie ergänzen möchten?
Nehmen Sie sich Zeit für Ihr Projekt. Diverse Innenarchitekten bieten eine spannende und sehr kreative Dienstleistung an. Seien Sie offen und neugierig, und nutzen Sie dieses umfassende Angebot. Freude und Spass am Endprodukt sind inbegriffen.

Braun und Blau geben bei dieser Skizze den Ton an
Mit diesen Materialien könnten die links skizzierten Wohnräume ausgestattet werden.
Braun und Blau geben bei dieser Skizze den Ton an
Farben, Materialien, Licht und Schatten fliessen ineinander – das gilt auch für die Gestaltung des Schlafzimmers.
Braun und Blau geben bei dieser Skizze den Ton an
Leder, Holz, feinmaschige und grobmaschige Textilien werden für die Aus-gestaltung des skizzierten Schlafzimmers gewählt.
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Markus Kirchhofer Inhaber Bel Etage AG
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