Mit Respekt Vor Natur und Ort
Während die Satteldächer der neuen Häuser im Vallée de Joux Richtung Hang zeigen, wählte Architekt Ralph Germann für das Einfamilienhaus MW bewusst ein Dach, das parallel zur Böschung verläuft, denn für ihn bedeutet das hiesige Bauen auch, sich von den ursprünglichen Häusern inspirieren zu lassen.

Zum Zeitpunkt des ersten Beratungsgesprächs war das Paar noch nicht schlüssig, ob es aus Kostengründen mit einem Generalunternehmer oder mit einem selbst-ständigen Architekten zusammenarbeiten wollte. Ralph Germann, Verfechter von individuellen Architektenhäusern, überzeugte das Paar davon, dass er sein Haus mit dem gleichen Budget errichten könne.
Kühe anstelle des Hauses?
Der Bau dieses Hauses wurde jedoch beinahe verunmöglicht. Aufgrund des neuen Raumplanungsgesetzes RPG, das im Hinblick auf verdichtetes Bauen eine teilweise Rückzonung von Bauland in Agrikulturland vorsieht, hat der Kanton Waadt voreilig, noch vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes, die Rückzonung verschiedener bereits als Bauland verkaufter Grundstücke beschlossen. Nachdem dieser Fall im Kanton Waadt mehrmals aufgetreten war, wandten sich die betroffenen Gemeinden an einen Jura-Professor und Rechtsanwalt, der beweisen konnte, dass dieses Verfahren illegal war. Mit der Lösung der Angelegenheit fand die Geschichte für die Bauherrschaft MW schliesslich ein glückliches Ende.
Inspiriert von der etwas wilden Natur des Geländes konnte Ralph Germann nun ungehindert arbeiten und eine sogenannte ortstypische Architektur umsetzen. Dieses Thema ist für ihn von besonderem Interesse, erklärt er: «Die ortstypische Architektur kann auch die Archäologie unserer Vorfahren einbeziehen.» Diese Art zu bauen hat er zum Beispiel auch schon im Wallis umgesetzt, wo er sich von den alten Scheunen und typischen Alphütten inspirieren liess. Ein Villenviertel hingegen, in dem die Vergangenheit bereits ausgelöscht wurde, ist nicht seine bevorzugte Ausgangslage. «Am liebsten baue ich in einer Landschaft, die von den Vorfahren sinnvoll erschlossen wurde. Dies ist für mich die grösste Inspirationsquelle», so Germann.
Ortstypische Fichte
Um dem Wunsch der Bauherrschaft nach einem schlichten und kostengünstigen Haus gerecht zu werden, entschied sich der Architekt für ein vorgefertigtes Holzbaukastensystem für die Fassade und den Giebel. Diese Elemente wurden in der Werkstatt gebaut und dann mit dem Lkw zur Baustelle befördert. Das «Skelett» des Hauses – Boden, Decke und Treppen – ist aus Beton gefertigt. Die vorgefertigten Holzfassaden wurden sodann auf diese betonierte Innenkonstruktion aufgetragen.
Die Ökologie spielte eine wichtige Rolle bei der Gestaltung dieses Hauses. Die Fassaden mit Holzfaserdämmung sind mit Fichtenholz verkleidet, das in den Wäldern des Vallée de Joux reichlich vorhanden ist. Doch nicht nur das Baumaterial ist ortsgebunden, sondern auch die Art des Bauens: «Alle anderen Häuser in der Nähe dieses Einfamilienhauses haben ein Dach senkrecht zum Hang. Unser Dach hingegen steht parallel dazu, wie die der Bauernhöfe in diesem Gebiet, so fügt sich das Haus besser in die Landschaft ein.» Und er ergänzt: «Ich bin stolz darauf, dass wir alle Prioritäten wie Preis, Ökologie, Ästhetik und Schlichtheit berücksichtigen konnten.»
Während manche Architekten ihre Entwürfe nur noch auf dem Computer anfertigen, arbeitet Germann in der Entwurfsphase viel mit Modellen. Dabei kann es auch vorkommen, dass er zum gleichen Objekt viele Modelle anfertigt. «Wenn das Modell korrekt ist, funktioniert auch das Projekt.»
Doppeltreppe als Blickfang
Was die Raumaufteilung anbelangt, geniessen ausnahmslos alle Räume, ob es sich um das Bad, die Küche, die Wohn- oder die Schlafräume handelt, einen Blick auf den See. Darüber hinaus hat der Architekt die im Referenzhaus im Vallée de Joux entwickelte Konfiguration einer Doppeltreppe übernommen, weil diese der Bauherrschaft so gut gefiel.
Vom Eingang aus führt die Treppe auf der linken Seite in den privaten Bereich der Eltern, ins Schlafzimmer und ins Badezimmer. Die auf der rechten Seite führt zu dem Teil des Hauses, der für den 16-jährigen Jungen und die Gäste reserviert ist. Die Doppeltreppe ist ästhetisch sehr gelungen: Das visuelle Spiel zwischen dem Abstieg der Treppe auf der einen und dem Spiegelbild des Aufstiegs auf der gegenüberliegenden Seite gibt dem Raum Charakter.
Das Heizsystem besteht aus einer Luft-Wasser-Wärmepumpe und Photovoltaik-Solarpaneelen, die zusammen mit der Isolierung ein ökologisches Haus ergeben. Ausserdem bringt das Feuer im Spartherm-Kamin im Wohnraum viel Wärme mit sich.
Wie aus einem Guss
Die Rolle des Architekturbüros von Ralph Germann endet nicht mit der Übergabe des Hauses. Gemeinsam mit der Innenarchitektin entwarf Ralph Germann auch die Möbel für das Haus – alles aus Birkenfurnier, mit Ausnahme der Innen- und Aussentische, die aus massiver Lärche gefertigt sind. Und statt Fertigküchen zu montieren, ist Germann überzeugt, dass die Arbeit mit Schreiner und Handwerker nicht teurer zu stehen kommt. «Diese Baustelle verlief sehr harmonisch. Es war eines der entspanntesten Projekte, die ich je hatte», lächelt er.
Architekten-Interview
Die Kosten waren ein wichtiger Faktor beim Bau dieses Hauses. Wie konnten Sie das Budget einhalten?
Das Budget wurde eingehalten. In diesem Zusammenhang versuche ich, den Beruf des Architekten gegenüber den Generalunternehmern zu verteidigen. Es liegt in der Hand des Architekten, architektonisch interessante Ideen zu entwickeln und dabei die Kosten im Auge zu behalten.
Zuerst bauten Sie das Skelett des Hauses aus Betonmauerwerk, dann die vorgefertigten Fassaden. Warum?
Der Grund, weshalb wir die Fertigbauweise wählten, war der Zeitfaktor. Nachdem die Holzwände montiert waren, konnten wir sehr schnell, unabhängig vom Wetter, im Hausinnern arbeiten. Die Fenster sind ein weiterer Vorteil: Durch die genauen Abmessungen bei der Vorfertigung konnten wir diese bereits zu einem frühen Zeitpunkt bestellen. Auch bezüglich der Umwelt ist es interessant, das Haus in einer Werkstatt herzustellen: Nach einem einfachen Transport per Lkw wird es von drei Personen montiert. Somit fallen die vielen Transportwege weg.
Ihr Büro hat auch die Möbel entworfen. Gestalten Sie oft auch die Innenarchitektur und Möbel, wenn Sie ein Haus bauen?
Viele berühmte Architekten, etwa wie Le Corbusier oder Richard Neutra, entwarfen auch die Möbel für die Häuser, die sie bauten. Ich verfolge hier die gleiche Idee wie meine Vorbilder, sodass ein stimmiges Gesamtergebnis entsteht. Meine Aufträge für die Möbel erteile ich stets lokalen Handwerkern. Dadurch wird auch das Gewerbe der Region gefördert.
Was halten Sie von den Flachdachhäusern im Vallée de Joux, wo der Schnee sehr präsent ist? Sind sie nur eine Mode? Und warum haben Sie sich für ein Satteldach entschieden?
In der ortstypischen Architektur hatten die Häuser oft ein zweiseitiges Dach aus Wellblech, wodurch der Schnee schneller gleiten konnte. Ausserdem war das Dach aus einem leichteren Material gefertigt. In diesem Haus ist das Wellblechdach eine Anspielung an die Architektur der damaligen Zeit. Manchmal mache ich Flachdächer, aber nicht in einem Klima, das mit dem des Vallée de Joux vergleichbar ist.
TECHNISCHE ANGABEN


[ ARCHITEKTUR ]
Ralph Germann sa, Martigny ralphgermann.ch
[ KONSTRUKTION ]
Skelett aus Betonmauerwerk | Satteldach | Fassade: Fertigbauweise in Fichtenholz
[ Raumangebot ]
Nettowohnfläche: 230 m² | Anzahl Zimmer: 6, davon 3 Schlafräume und 1 Büro
[ Ausbau ]
Boden: geschliffener und versiegelter Beton | Wandbeläge: Birkensperrholz | Fenster: Lärche
[ Technik ]
Luft-Wasser-Wärmepumpe | Photovoltaik-Solarpaneele























