Weitblick bis zum Horizont

Diese Liegenschaft bekam von den Einwohnern der Gemeinde Oberrohrdorf den Spitznamen «Feldstecher» verliehen, da sie neben der hervorragenden Aussicht vor allem auch wegen der Fensterfront mit markantem Blendschutz an ein schweres Binokular erinnert.

Weitblick bis zum Horizont
Text Donika Gjeloshi | Fotos Tanya Hasler
Diese Liegenschaft bekam von den Einwohnern der Gemeinde Oberrohrdorf den Spitznamen «Feldstecher» verliehen, da sie neben der hervorragenden Aussicht vor allem auch wegen der Fensterfront mit markantem Blendschutz an ein schweres Binokular erinnert.
Zuvor wohnten die Bauherren Manuela und Simon Gassmann in einer Dreizimmerwohnung in Baden. Der Wunsch, in ein grösseres Heim zu ziehen, war seit geraumer Zeit vorhanden, und mit dem ersten Kind wurde dieser Wunsch aufgrund der engen Platzverhältnisse immer konkreter.Das Paar wollte dabei nicht unbedingt ein Haus bauen und hätte auch gerne ein bestehendes Eigenheim gekauft. «Wir haben uns einige Objekte angeschaut, doch bei jedem hätten wir zu viele Kompromisse eingehen müssen, keines konnte uns vollkommen überzeugen», erinnert sich die Bauherrin. Aus diesem Grund fassten sie und ihr Mann das Projekt Hausbau ins Auge und betrauten ihren guten Freund und Architekten Reto Häfele mit der Aufgabe. Eigentlich raten Architekten einander ja davon ab, für Freunde oder Familienangehörige zu bauen, doch wie es so schön heisst «exceptio probat regulam», die Ausnahme bestätigt die Regel. «Für uns war diese Erfahrung nur positiv. Da die Bauherrschaft und ich uns so gut kennen, hatte sie grosses Vertrauen in unser Architekturbüro, was sehr wertvoll für eine gute Zusammenarbeit ist. Und wir konnten jederzeit offen und ehrlich über das Haus sprechen», berichtet Reto Häfele. Auch Manuela und Simon waren glücklich über diese Konstellation. «Gerade wegen der Geburt der Zwillinge waren wir erleichtert, dass wir in dieser anspruchsvollen Zeit unseren Freund als Architekten wussten. Wir waren dankbar, dass wir Reto vertrauen konnten und haben ihm freie Hand gelassen.»

Glückliche Zufälle

Die Bauherrin, die aus Oberrohrdorf stammt, war überrascht, dass sie ausgerechnet in ihrem Heimatdorf das perfekte Bauland für ihr Eigenheim finden sollten. Wie es der Zufall wollte, stand gerade in dieser Gemeinde ein Grundstück mit einem alten und seit längerer Zeit leerstehenden Haus zum Verkauf. Viele Interessenten wurden vermutlich von den besonderen Umständen dieser Parzelle abgeschreckt, denn sie weist eine extreme Steillage auf und grenzt unmittelbar an die stark befahrene Hauptstrasse.

Der Grundriss des Hauses ist eine Verkleinerung der Parzelle, wobei ihre Geometrie ein asymmetrisches Rechteck darstellt und dadurch die Westseite des Hauses länger ist als die Ostseite. Auf diese Weise konnten die Nebenräume sowie die Garage elegant in den Hang hinein geplant werden. Im Übrigen wünschte sich der Bauherr Simon Gassmann ein rechteckiges Haus mit strengen Konturen. Diese Strenge brachte der Architekt durch die gerade Fensterfront, die wie mit einem Blendschutz eingefasst zu sein scheint, zum Ausdruck. Von innen wirken die auskragenden Wände wie ein Rahmen, der die unverbaubare Aussicht zu einem Gemälde macht. Sie sind aber auch und in erster Linie eine raffinierte Lösung, die den Wohn- und Schlafräumen mit grossen Fensterfronten Schatten spendet. «Das Haus hat von den Gemeindebewohnern den Übernamen ‹Feldstecher› erhalten», erzählt der Architekt, «egal, ob es ironisch, positiv oder zynisch gemeint ist, ich finde den Namen passend wegen der Aussicht und der Form und Farbe des Baukörpers.»

«Die Küche ist unser Lieblingsplatz, hier halten wir uns die meiste Zeit auf.»Manuela Gassmann, Bauherrin

Auf den Kopf gestellt

Der Eingang zum Haus liegt auf der Strassenseite. Wer das Haus betritt, findet sich zunächst in der Garderobe wieder. Gleich daneben ist das Gäste-WC. Passiert man die Schiebetür, die den Eingang vom Wohnraum trennt, so eröffnet sich einem eine imposante Aussicht über saftig grüne Wiesen, hohe Baumkronen und weisse Bergspitzen am Horizont. Wie auf einer Bühne steht die Küche ein paar Treppenstufen höher als der Essbereich und die Sofalandschaft, sodass auch während des Kochens die schöne Aussicht genossen werden kann. Das mittlere Geschoss ist in zwei Flügel aufgeteilt und beherbergt die Privaträume der Familie: vier Schlafzimmer und zwei Badezimmer. Auch der Technikraum ist hier untergebracht. Einbauschränke entlang des Korridors schaffen viel Stauraum und machen Kleiderschränke in den Zimmern überflüssig. Im Sockelgeschoss sind ein grosser Abstellraum, ein Büro/Musikzimmer und die Waschküche sowie der Zugang zum Garten. «Wir haben mit diesem Raumkonzept das Haus quasi auf den Kopf gestellt», sagt Reto Häfele. Denn statt eines vielgesehenen Attikageschosses mit Terrasse hat der Architekt ein Sockelgeschoss mit Garten errichtet. Von hier hat man immer noch eine tolle Panoramasicht. Zudem ist der Gartenplatz durch seine Lage überdacht und vor Strassenlärm geschützt. Die schlichte Gartengestaltung bildet einen fliessenden Übergang zur Landwirtschaftszone. Dadurch wird der Eindruck erweckt, dass die angrenzende Weide zum Grundstück gehört. Ausbaupotenzial hat der Garten dennoch, so wurden bereits Anschlüsse für eine etwaige Outdoorküche vorbereitet.

Perfekt im Einklang

Der Bau präsentiert sich praktisch durchgehend in den Farben Schwarz, Grau und Braun. Auch die Fassade ist dunkel gehalten. Die angenehme Stimmung im Hausinneren wird im Wesentlichen durch das Zusammenspiel von Sichtbetonwänden und Parkett aus Kernesche generiert. Bei den Treppen ruft die Maserung des Holzes sogar einen hübschen Wasserfalleffekt hervor. Speziell gelungen sind in dieser Hinsicht auch die Schlafzimmer. Durch die Leichtbautrennwände aus Holz konnte der Architekt kurzfristig das Raumprogramm anpassen, als bekannt wurde, dass die Bauherrschaft Zwillinge erwartete. In Zukunft könnten diese Trennwände zurückgebaut werden. Die hohe Funktionalität und Flexibilität des Gebäudes zeigt sich auch am Oblicht über dem Treppenhaus: Falls sich die Familie eines Tages ein Attikageschoss wünschen sollte, könnte der Zugang durch eine Treppe direkt an dieser Stelle angesetzt werden.

Durch die starke Eingliederung des Hauses in den Steilhang musste ein Grossteil des Baus aus Beton erstellt werden. So waren sich Bauherren und Architekt von Anfang an einig, gleich den ganzen Bau mit Beton zu errichten und diesem Werkstoff auch seinen Platz im Erscheinungsbild der Liegenschaft zuzugestehen. «Wir haben bewusst mit wenigen Materialien gearbeitet, da wir uns eine reduzierte und ehrliche Bauweise wünschten», erklärt Reto Häfele. Auch das Thema Energie war relevant, weshalb das Haus nach Minergie-Baustandard gebaut wurde. Durch die grosse Verglasung profitieren die Räume von der passiven Energie der Sonne.

Das Endprodukt erfreut die Familie und den Architekten. Auch bei eingien Dorfbewohnern kommt der Neubau gut an, die Architektur provoziere aber auch Kritik.

«Vertrauen ist die beste Grundlage für eine gute Zusammenarbeit.»Reto Häfele, Architekt

Architekten-Interview

Reto Häfele, wie haben Sie die Entwurfsarbeit für dieses Haus erlebt ?
Es war eine spannende Zeit. Die ersten Ideen haben die Bauherrschaft und ich während unserer gemeinsamen Skiferien aufgezeichnet. Mit meinem Team habe ich schliesslich von schräg bis klassisch alle möglichen Varianten ausprobiert. Die Bauherrschaft hat uns aber diese Freiheit auch gegeben. Entwerfen bedeutet für uns auch Verwerfen. Es ist ein wichtiger Prozess – einerseits, um herauszufinden, was dem Auftraggeber wirklich gefällt, andererseits muss die Planung akkurat sein, damit die Architektur funktioniert. Die Geduld der Bauherren hat sich auf jeden Fall gelohnt, nach einem Jahr Planungszeit konnten wir den Edelrohbau in nur acht Monaten einzugsbereit vollenden.

Welche Herausforderungen stellten sich?
Herausfordernd war die Bauphase. Da die Parzelle an eine Landwirtschaftszone und eine Hauptstrasse grenzt, war der Platz für die Bauarbeiten inklusive Installation auf die Fläche des Grundstücks beschränkt. Ansonsten verlief alles ohne Schwierigkeiten. Die Zusammenarbeit mit der Gemeinde war äusserst angenehm und vorbildlich.

Worauf sind Sie besonders stolz ?
Das Schönste ist, dass sich die Familie im neuen Haus wohlfühlt, das erfüllt mich mit Stolz. Abgesehen davon gefällt mir die Stimmung, die das Parkett aus Kernesche in den Räumen erzeugt.

Welchen Rat haben Sie für unsere Leser, die ihr Traumhaus bauen wollen?
Geben Sie dem Architekten genug Zeit für die Planung. Zeit, um Sie und Ihren Geschmack kennenzulernen und Ihre Bedürfnisse zu verstehen. Zeit, um die Ideen aufs Papier zu bringen und Zeit, um Entwürfe zu hinterfragen.

Was würden Sie gerne einmal bauen ?
Ein Traumprojekt wäre für mich, ein Hockeystadion zu realisieren. Aber so viele Möglichkeiten dazu gibt es nicht, deshalb wird es wahrscheinlich noch lange ein Traum bleiben. Was mich an Stadien so fasziniert, ist nicht nur das ästhetische Erscheinungsbild, sondern das, was im Gebäude drinnen passiert, die akustische Stimmung, die bei einem Spiel erzeugt wird. Auch sonst finde ich es spannend, wenn die Funktion eines Gebäudes im Vordergrund steht.

TECHNISCHE ANGABEN

[ ARCHITEKTUR ]

Reto Häfele | haefele schmid architekten ag | hsar.ch

[ KONSTRUKTION ]

Massivbau | Flachdach extensiv begrünt | Hinterlüftete Fassade verputzt

[ Raumangebot ]

Nettowohnfläche: 190 m² | Anzahl Zimmer: 5,5 Zimmer

[ Ausbau ]

Boden: Kernesche | Wandbeläge: Sichtbeton | Fenster: Metallfenster, Hebeschiebefronten dreifach verglast

[ Technik ]

Luft-Wasser-Wärmepumpe | Kontrollierte Wohnraumlüftung | Bodenheizung | Minergie

Weitblick bis zum Horizont
Schlafgeschoss
Weitblick bis zum Horizont
Erdgeschoss
Weitblick bis zum Horizont
Fassade Südost
Weitblick bis zum Horizont
Fassade Südwest
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Fassade Nordost
Weitblick bis zum Horizont
Fassade Nordwest
Weitblick bis zum Horizont
Sockelgeschoss
Weitblick bis zum Horizont
Dank der erhöhten Position der Küche lässt sich auch beim Kochen die schöne Aussicht geniessen.
Weitblick bis zum Horizont
Direkt bei der Garderobe ist ein Gäste-WC untergebracht. Nebst dem Boden sind auch die Wände komplett mit Kernesche ausgekleidet.
Weitblick bis zum Horizont
Durch das Fenster dringt die Morgensonne in die Küche hinein. Daneben ist ein Reduit hinter einer Schiebetür versteckt.
Weitblick bis zum Horizont
Die Fensterfront flutet die Räume mit Tageslicht. Bei Bedarf können die Bewohner die Hebeschiebetüren öffnen, sodass sie sich auch drinnen draussen fühlen. Das Lichtkonzept ist sehr reduziert. Dafür erlauben es viele Bodenstecker, Stehleuchten für indirektes Licht zu platzieren.
Weitblick bis zum Horizont
Auf gleicher Ebene wie der Essbereich liegt die Sofalandschaft. Transparente Akustikvorhänge von Annette Douglas sorgen in allen Zimmern für ein angenehmes Raumgefühl.
Weitblick bis zum Horizont
Das Oblicht bringt Tageslicht in die Korridore und hält die Option für ein Attikageschoss offen.
Weitblick bis zum Horizont
Auch das Elternbad erhält mit dem Spachtelbelag einen dezenten Farbtupfer. Die Badmöbel, alle Einbauschränke sowie auch die Küche wurden von der Baumann AG in Diepoldsau gefertigt.
Weitblick bis zum Horizont
Das Kinderbad wie auch das Bad der Eltern mit Walk-in-Dusche erhalten durch den Spachtelbelag einen Farbtupfer.
Weitblick bis zum Horizont
Das Parkett hat der Architekt an der Trennwand zwischen je zwei Zimmern hochgezogen. So besteht die Möglichkeit, die Räume zu vergrössern, wenn die Kinder erwachsen sind und ausziehen.
Weitblick bis zum Horizont
Alle vier Schlafzimmer sind gleich gross. Stauraum bieten die zahlreichen Einbauschränke in den Korridoren.
Weitblick bis zum Horizont
Dank dem Sockelgeschoss konnte der Architekt einen ruhigen, überdachten und geschützten Gartenplatz für die Familie schaffen.
Weitblick bis zum Horizont
Die Abstimmung der Holzmaserungen bei der Treppe bildet einen interessanten Wasserfalleffekt.
Weitblick bis zum Horizont
Der Hauseingang und die Garage liegen unmittelbar neben einer Hauptstrasse. Nach Süden wird sich das Haus öffnen und die unverbaubare Aussicht auch im Garten erlebbar machen.
Weitblick bis zum Horizont
Reto Häfele, Architekt haefele schmid architekten ag, Zürich. hsar.ch
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Schlafgeschoss
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Erdgeschoss
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Fassade Südost
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Fassade Südwest
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Fassade Nordost
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Fassade Nordwest
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Sockelgeschoss
Weitblick bis zum Horizont
Direkt bei der Garderobe ist ein Gäste-WC untergebracht. Nebst dem Boden sind auch die Wände komplett mit Kernesche ausgekleidet.
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Auch das Elternbad erhält mit dem Spachtelbelag einen dezenten Farbtupfer. Die Badmöbel, alle Einbauschränke sowie auch die Küche wurden von der Baumann AG in Diepoldsau gefertigt.
Weitblick bis zum Horizont
Die Abstimmung der Holzmaserungen bei der Treppe bildet einen interessanten Wasserfalleffekt.
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